Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
ins Tal gemacht. Und zwar möglichst schnell, denn wer nicht als Killer auf die Welt gekommen war, hatte zumindest bei seinem ersten Mord gehörige Skrupel. Erst recht, wenn er geplant war und nicht im Affekt geschah. »Wissen Sie, was ich glaube, Sabine? Wenn Sara Gasser ermordet wurde, liegt sie da vorn in der Schlucht.«
Die beiden Polizisten gingen zum Rand der Schlucht. »Was meinen Sie, wie tief es da runtergeht? Dreißig Meter?«
Mauracher wiegte den Kopf. »Keine zwanzig. Die Wand ist nicht glatt, und es gibt ordentliche Griffe und Tritte. Sollen wir einen Stand bauen? Wenn Sie mich von oben sichern, klettere ich runter.«
Vincenzo nickte. »Gute Idee. Schade, dass wir nicht bis zum Boden schauen können, sonst würden wir Gasser vielleicht sogar von hier oben sehen. Aber der Einschnitt ist zu schmal. Eher ein großer Felsspalt als eine Schlucht. Da dürften Sie mit Ihrer Suche schnell fertig sein. Und wenn Sie nichts finden, werden wir uns an den Abstieg machen. Wahrscheinlich müssen wir uns trotzdem auf eine Übernachtung einstellen.«
Während Vincenzo redete und redete, hatte Mauracher bereits einen Standplatz mit mehreren Fixpunkten errichtet, die Seile angebracht und sich selbst am Seil fixiert. »Sind Sie bereit, Commissario? Sie haben so etwas doch schon mal gemacht, oder?«
Vincenzo lächelte, während er den obligatorischen Partnercheck durchführte. »Liebe Sabine, auch wenn Sie es nicht glauben, ich habe tatsächlich eine Bergsteigerausbildung absolviert. Bei Hans Valentin, mit dem ich zudem regelmäßig unterwegs bin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich Probleme habe, Ihr Fliegengewicht zu halten.« Der Commissario prüfte die Fixpunkte. »Zwei Zwillingsseilstränge, sauber um den Fels gelegt, gut gemacht. Die halten garantiert.« Gewissenhaft prüfte er Maurachers Selbstsicherung. »Auch die ist ganz passabel. Bandschlinge plus Verschlusskarabiner, Kurzprusikknoten mit zwei Wicklungen um beide Seilstränge, der wunderbar in Ihre zarte Bremshand passt. Reicht diese Analyse als Beweis meiner Bergtauglichkeit? Habe ich die Prüfung bestanden?«
Mauracher deutete ein Klatschen an. Sie hoffte, dass ihr Vorgesetzter ihr Verhalten nicht als respektlos, sondern eher als freundschaftlich wertete. Wobei sie sich immer wieder eingestehen musste, dass sie den Commissario richtiggehend süß fand. Und konditionell und kräftemäßig hatte er auch was drauf. »Mit Bravour bestanden.«
Mit Schwung verschwand Mauracher in der Felswand. Gekonnt und in atemberaubendem Tempo seilte sie sich von Abseilstand zu Abseilstand ab, immer exakt in der Falllinie. Nach wenigen Minuten hatte sie den Grund des Einschnittes erreicht. Sie löste das Seil und schaltete die Taschenlampe ein. Der Spalt hatte sich unten sogar noch etwas verjüngt, sie schätzte den Abstand zwischen den beiden Wänden auf maximal fünf Meter. Der Fels war sehr dunkel, fast schon schwarz, an vielen Stellen rann Wasser an ihm herab und verschwand plätschernd auf dem steinigen Grund. Sie hätte hier noch stundenlang rumklettern können, aber sie hatte einen Job zu erledigen. Sie richtete den Strahl der Taschenlampe auf den Boden und schritt langsam auf und ab. Überall Steine und große Felsen wie in einem Felsenmeer, aber außer Stein und Wasser konnte sie nichts Auffälliges entdecken. Das Ende markierte ein Felsen, der an einen riesigen Zahn erinnerte. Sie ging um ihn herum, hielt die Taschenlampe noch immer auf den Boden gerichtet. Als der gebündelte Lichtstrahl etwas erfasste, schrie Mauracher auf. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Das musste sie dem Commissario erzählen. Sie betrachtete ihren Fund, sah sich nur das genauer an, was aus Sicht der Spurensicherung unbedenklich war. Dann bedeutete sie ihrem Vorgesetzten, dass er sie wieder sichern solle. Für den Aufstieg durch die Wand benötigte sie kaum mehr Zeit als für das Abseilen.
Vincenzo hatte staunend beobachtet, wie seine junge Kollegin im Stile der bekannten Huberbuam wieselflink emporkletterte. Was seine Kollegin da tat, davon konnte er nur träumen. Ohne es bewusst zu forcieren, verglich er sie mit Gianna. Seit ihrer unsäglichen Begegnung am Freitag hatte sie ihm täglich mehrere SMS geschickt und ein paarmal auf den Anrufbeantworter gesprochen. Wenn er ihre Nummer im Display sah, ging er nicht ran. Zu tief hatte sie ihn verletzt. Der Tenor ihrer Nachrichten war stets derselbe. »Ein Kollege, mehr nicht, kein Grund, sich so aufzuführen, bitte lass uns miteinander
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