Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
Junge zu sein. Groß, kräftig, bescheiden, zurückhaltend, schüchtern, aber auch etwas einfältig. Eigentlich hatte er Schreiner werden wollen, doch sein Vater hatte ihn davon überzeugt, dass eine mittlere Laufbahn bei einer Polizeibehörde die bessere Alternative war. Insgeheim dachte sich Marzoli, dass der Vater genau gewusst hatte, dass der Sohn über begrenzte Fähigkeiten verfügte. Ein Umstand, bei dem der eine oder andere Kontakt mit gewissem Einfluss nicht von Nachteil war. Generell war das für den Ispettore kein Problem, er wünschte Salvatore nur das Beste, doch warum hatte ihm auf dem Flur ausgerechnet Patricello über den Weg laufen müssen?
»Na, Ispettore, warum sind Sie denn so in Eile?«, hatte der Capo della Polizia mit seiner dunklen Bassstimme gefragt, die Marzoli sogleich vor Ehrfurcht erzittern ließ. Er hatte wahrheitsgemäß geantwortet.
Patricello war begeistert. »Zeugenbefragungen im Pflerschtal? Aber für diese Mission habe ich genau den richtigen Mann für Sie!«
Nun ja, jetzt musste er eben mit Salvatore klarkommen und das Beste aus der Situation machen. Als sie endlich das Pflerschtal erreicht hatten, erschien Marzoli Albers Hotel regelrecht furchteinflößend. Er war auf sich allein gestellt, vom Sohn des Colonello war keine Hilfe zu erwarten. Mit Salvatore hinter sich, der den Blick ausschließlich zu Boden richtete, ging der Ispettore geradewegs zum Empfangstresen der Rezeption, hinter dem Alber konzentriert den Bildschirm ihres Rechners anstarrte. Als die Polizisten sich näherten, schreckte sie auf. »Sie schon wieder? Was kann ich diesmal für Sie tun? Und wo haben Sie Ihren hübschen Commissario gelassen?«
Es war die herablassende Art Albers, die in dem friedfertigen Marzoli eine gewisse Portion Wut freisetzte. Nicht so viel, dass er sich einer Zivilistin gegenüber im Ton vergriffen hätte, aber genau die richtige Dosis, um seine eigene Unsicherheit zu überwinden. »Frau Alber, wir haben die Information bekommen, dass auf Sie ein Attentat verübt wurde.« Marzoli schielte zu Salvatore hinüber. Vielleicht hatte er sich in ihm getäuscht und er hatte bereits seinen Notizblock gezückt? Doch nein, der Sohn des obersten Leiters der Südtiroler Carabinieri blickte weiterhin verlegen auf seine Füße. Marzoli blieb nichts anderes übrig, als selbst zu fragen, zuzuhören und eigenhändig mitzuschreiben. »Haben Sie eine Vorstellung, wer dahinterstecken könnte?«
Alber sah den Polizisten gelangweilt an. Den jungen Borgogno würdigte sie keines Blickes. Sie hatte ihn nicht einmal begrüßt. »Ihr immer mit euren Attentaten. Wer sollte mir denn nach dem Leben trachten? Das war sicherlich nur ein Versehen.«
Marzoli schnaubte verächtlich. Sein Missmut dieser Person gegenüber wuchs sekündlich. »Gift in einer Wasserflasche. Ein Versehen. Sehr originell. Es gibt höchstens vier Überlebende Ihrer Goldexpedition. Zwei davon arbeiten in diesem Hotel. Holen Sie Signor Ferrari.«
Alber schnippte mit den Fingern nach einem Angestellten, der im Nebenraum gerade die Tische für das Abendessen der Hotelgäste eindeckte. »Du hast den Herrn gehört. Geh in die Küche und hol Luigi.«
Marzoli fragte sich, ob Alber ihnen auch diesmal etwas zu trinken anbieten würde, doch ihre Gastfreundschaft blieb aus. Vermutlich beschränkte sich diese auf smarte, gut aussehende Vertreter des gehobenen Staatsdienstes. Marzolis Wut wurde noch größer. »Frau Alber, wir haben die Diagnose der Klinik Sterzing und das Protokoll der Carabinieri zusammen mit Ihrer Wasserflasche erhalten. Zweifelsohne werden wir darin die Substanz finden, die Sie umgehauen hat. Wer außer Luigi Ferrari hätte die Möglichkeit gehabt, Ihnen ein Mittel in die Flasche zu schütten?«
Der heißblütige Geliebte der Hotelierin kam um die Ecke und hatte die Frage offensichtlich mitbekommen. »Kannst du dich nicht erinnern, Christine? Nachmittags war Kofer bei uns. Angeblich, um einen Tisch für den Abend zu reservieren. Aber zur reservierten Zeit ist er nicht aufgetaucht.«
Alber nickte nachdenklich. »Stimmt. Jetzt, wo du es sagst. Aber glaubst du allen Ernstes, Andreas würde …?«
Marzoli sah von einem zum anderen. »Was ist mit Andreas Kofer? Was genau ist an diesem Tag passiert?«
Luigis Chefin winkte ab. »Kofer isst häufiger bei uns. Wir kennen uns schon lange. Er war gegen drei Uhr hier, als er auf dem Weg zu seinem Museum war. Der hat damit nichts zu tun.«
Es war wie bei den bisherigen Befragungen. Alle
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