Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
beschäftigen, sage ich Ihnen freimütig: Ich kenn mich mit diesem Amizeug nicht aus.«
Die beiden Frauen schauten sich verständnislos an; ihnen war anscheinend nicht sofort klar, was der Kripobeamte mit dem Begriff ›Amizeug‹ gemeint haben könnte.
Aber Judith hatte plötzlich eine Eingebung: »Amizeug, klar! CEOs gibt’s nicht. In einem modern geführten Unternehmen gibt es exakt drei Führungspositionen. Und deshalb immer nur einen CEO, genauso wie es immer auch nur einen – oder wie im Falle von FIT.net – eine CFO und eine COO geben kann.«
»Von mir aus«, knurrte Tannenberg.
»Wissen Sie, meine Damen, das ist nicht so sehr die Welt des Herrn Hauptkommissars. Er ist Beamter und infolgedessen meint er eben, sich nicht für wirtschaftliche Zusammenhänge interessieren zu müssen.«
Trotz der sich in seinem Bewusstsein immer markanter bemerkbar machenden Alkoholmoleküle meinte der Angesprochene, den selben Argumentationsgang vor kurzem schon einmal irgendwo vernommen zu haben.
Alter Angeber, blöder Frauenschleimer, kochte es in ihm; aber er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. »Also der eine ist der von Wandlitz. Und die andere ist diese Sabine Niebergall …«
»Susanne Niebergall«, korrigierte Judith.
»Die kennen Sie also auch?«
»Na, klar, die ist für das Finanzmanagement zuständig. Die soll ja die Geliebte vom Herrn Professor sein.«
»Das ist ja interessant!«, warf Tannenberg ein.
»Ja, und die Ellen Herdecke kenn ich natürlich auch, die ist COO der Firma FIT.net , also der Chief Operating Officer. Die kümmert sich um das operative Geschäft. Also um Entwicklung, Vertrieb, Marketing. Na ja, eben um alles, damit die Firma richtig läuft. Die kennen sich übrigens alle von der Fachhochschule her. Die drei waren am selben Lehrstuhl. Und dann haben sie sich irgendwann mal dazu entschlossen, aus der FH heraus ihr Unternehmen zu gründen.«
»Alles klar, Herr Kommissar?«, foppte Dr. Schönthaler.
»Jetzt sagen Sie uns doch endlich mal, was bei FIT.net überhaupt passiert ist!«, drängte die Rothaarige.
»Also gut«, schob sich Tannenberg in den Vordergrund, »schließlich steht’s morgen früh ja sowieso in der Zeitung: Susanne Niebergall ist ermordet worden.«
»Was? Um Himmels Willen! Ermordet?«, fragte Carmen geschockt.
»Ja, sie ist brutal ermordet worden. Und …«
»Und mein Kollege erzählt hier Sachen, die überhaupt nicht stimmen«, unterbrach der Pathologe. »Denn bis jetzt ist die Identität der Toten völlig ungeklärt.«
»Was? Wieso, Rainer?«
Dr. Schönthaler drehte sich seinem alten Freund zu, der ihn mit aufgerissenen Augen und offenem Mund fassungslos entgegenblickte »Ja, vielleicht handelt es sich bei dem verkohlten Leichnam, den wir im PRE-Park gefunden haben, gar nicht um diese Susanne Niebergall, sondern um irgendeine andere Person.«
»Aber …«
»Aber was, Herr Hauptkommissar? Willst du mir jetzt etwa sagen: Der Professor hat doch seine Mitarbeiterin identifiziert? Wenn ich dich daran erinnern darf, stimmt das nicht! Er hat nämlich nur ihren Schmuck identifiziert, nicht die Leiche. So wie die ausgesehen hat, wäre das ja wohl auch kaum möglich gewesen. Du lässt dich doch hoffentlich nicht von so einer primitiven Finte in die Irre führen?«
»Finte?«
»Ja, genau: Finte! Oder ist es etwa nicht denkbar, dass man irgend jemand anderen, vielleicht eine Obdachlose oder eine Tote aus einer Leichenhalle, dorthin gelegt und ihr das Armbändchen und die Ringe dieser Susanne übergestreift hat, bevor man das Feuer gelegt hat? Vielleicht läuft diese Frau Niebergall jetzt hier irgendwo rum – vielleicht sitzt sie sogar frohgelaunt in einem Weinzelt auf dem Landauer Festplatz!«
»Glaubst du das etwa wirklich?«
Der Gerichtsmediziner antwortete nicht sofort, sondern ließ erst einen Augenblick verstreichen, bevor er fortfuhr: »Hat nicht mal der berühmte Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein gesagt: Dass es uns allen so scheint, bedeutet noch lange nicht, dass es auch so ist – oder so ähnlich!«
Tannenberg reichte es. Er benötigte dringend frische Luft. Mit der knappen Begründung, die Toilette aufsuchen zu müssen, erhob er sich von der harten Holzbank und verließ das Weinzelt. Unter Verweis auf einen schon lange vereinbarten Discobesuch verabschiedeten sich kurze Zeit später auch die beiden jungen Frauen.
Der Gerichtsmediziner blieb alleine im Weinzelt zurück. Dr. Schönthalers Gedanken beschäftigten sich noch längere Zeit mit den
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