Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
Politisch korrekt, also ideologisch absolut neutral und deshalb auch völlig unbedenklich zu gebrauchen, sei dagegen der Begriff ›Nichtsesshafter‹.«
»Wichtiger Hinweis, muss ich mir merken.« Der Oberstaatsanwalt drehte sich von Tannenberg weg und wandte sich Kriminalhauptmeister Geiger zu. »Sagen Sie mal Geiger, stimmt das wirklich, was sich hier überall wie ein Lauffeuer verbreitet: Diese Geschichte mit diesem warmen Geldregen, der über Sie gekommen ist? Und Sie sich jetzt sogar einen Porsche geleistet haben?«
»Ja, das ist richtig, Herr Oberstaatsanwalt.«
»Und wie geht das? Kann ich da auch noch mitmachen?«
»Selbstverständlich!«, entgegnete Kriminalhauptmeister Geiger, begab sich schnell in sein Büro, entnahm seiner schwarzen Ledertasche einen MPI -Prospekt und überreichte ihn anschließend Dr. Hollerbach, den er dabei auch gleich auf eine wichtige Informationsveranstaltung hinwies: »Nächsten Samstagabend veranstaltet die Firma Midas-Power-Investments wieder ein Investorenmeeting in der Spielbank von Bad Dürkheim. Kommen Sie doch mal vorbei. Ist ja völlig unverbindlich.«
»Spielbank Bad Dürkheim? Klingt gut, Geiger! Da werd ich sicherlich mal vorbeischauen«, meinte der Vertreter der Kaiserslauterer Staatsanwaltschaft und gab Armin Geiger einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
Das war nun eindeutig zu viel für Tannenberg.
»Sagt mal Leute, habt ihr nichts anderes mehr im Kopf als Kohle, Kohle – und nochmals Kohle?«, begann er wütend drauflos zu schimpfen. »Seid ihr denn alle total verrückt geworden? Ist hier ein neuer Goldrausch ausgebrochen, und ich hab’s noch nicht mitgekriegt? Überall geht’s nur noch um Geld, Vermögensberatung und so’n Scheiß! Geld ist doch nicht alles!«
»Aber ohne Geld ist alles nichts!«, vollendete Geiger mit einem Lieblingsaphorismus Carlo Weinholds.
»Guter Spruch! Tannenberg, da können Sie nicht mitreden; das ist einfach nicht Ihre Welt!«, setzte Dr. Hollerbach noch eins drauf und verließ gemeinsam mit dem MPI -Junior-Consultant den Raum.
Obwohl das Zusammentreffen mit dem Vertreter der Staatsanwaltschaft wie üblich ziemlich unerfreulich verlaufen war, konnte man ihm doch auch etwas Positives abgewinnen. Schließlich hatte es dem Chef der Kaiserslauterer Mordkommission einen triftigen Grund geliefert, der Gerichtsmedizin einen dienstlichen Besuch abzustatten. Außerdem hatte die bislang ungeklärte Frage, ob der im Wald aufgefundene Mann eines natürlichen Todes gestorben war oder ob er tatsächlich ermordet wurde, seinen kriminalistischen Spürsinn geweckt.
Da Tannenberg dringend frische Luft benötigte, machte er sich zu Fuß auf ins kaum mehr als einen Steinwurf von der Polizeiinspektion entfernte Klinikum, in dessen Katakomben der Pathologe sein grausiges Handwerk verrichtete.
Wie häufig, wenn er seinen besten Freund an dessen weißgekacheltem Arbeitsplatz aufsuchte, steckte dieser mal wieder mit seinen Fingern in irgendeiner Leiche, diesmal in der des Obdachlosen.
Weil er auch an diesem Tag nicht bereit war, der mit einem breiten Grinsen vorgetragenen Aufforderung Dr. Schönthalers, näher an die Schlachtplatte – wie dieser den Seziertisch nannte – heranzutreten, Folge zu leisten, musste der Pathologe wohl oder übel selbst zur Tat schreiten.
»Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss eben der Berg zum Propheten kommen«, rief er Tannenberg fröhlich entgegen, schnappte sich ein chromfarbenes Metallschälchen, das auf einem kleinen Tischchen neben dem nackten, in der Korpusmitte mit mehreren, den grauen Leib weit auseinanderdrückenden Klammern versehenen Leichnam stand und ging auf ihn zu.
»Schau mal, was ich hier Feines für dich habe, Wolf. So sieht deine Leber auch mal aus, wenn du so weitermachst wie bisher. Leg doch einfach mal zwischendrin ein paar alkoholfreie Tage ein.«
»Das sagt ja gerade der Richtige! – Pfui Teufel, tu das eklige Ding weg«, entgegnete Tannenberg angewidert und verzog sich daraufhin in Dr. Schönthalers Büro.
Nach einer Weile folgte ihm der Pathologe und befüllte sogleich, einem alten Ritual folgend, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zwei flache Nierenschälchen mit glasklarem Mirabellengeist.
»Übrigens hat unser Freund da draußen auf dem Tisch von seinem bedauernswerten Schicksal nicht sonderlich viel mitbekommen.«
»Warum?«
»Weil ich einen Blutalkoholwert von 3,2 Promille gefunden hab.«
»3,2 Promille? Mann, oh Mann!«
»Du, das ist bei einem
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