Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
Scheiterhaufens für die hehren Zwecke der ›heiligen Mutter Kirche‹ getestet hätte.
Das festliche Ambiente im kahlen Nebenzimmer der Gaststätte ›Zum Schwanenweiher‹, die ihren Namen von dem unweit der Wirtschaft im Volkspark gelegenen kleinen See hatte, auf dem Tannenberg früher ab und zu Schlittschuhlaufen war, gestaltete sich noch weitaus unerfreulicher, als von Tannenberg befürchtet.
Es war nicht nur dieses unwiderstehliche, an eine Bahnhofsgaststätte erinnernde Flair, das ihn zutiefst deprimierte; es war auch der ihm zugewiesene Sitzplatz, der ihn nicht nur Aug in Aug mit seiner Schwägerin brachte, sondern ihn darüber hinaus auch noch direkt mit deren Verwandtschaft, mit der er absolut nichts am Hut hatte, konfrontierte. Zu allem Übel verließen auch noch Tobias und Marieke bereits kurz nachdem sie pflichtgemäß ihrem Großvater zum Geburtstag gratuliert hatten den Ort des Grauens; Marieke, die zu einem Date mit ihrem Lover eilte und Tobi, weil er angeblich unbedingt mit einem Klassenkameraden für eine Mathearbeit lernen musste.
„Bist du noch bei der Polizei?«, wurde er plötzlich von einem schmierigen, dicklichen älteren Mann von der Seite her angesprochen, an den er sich nur im Zusammenhang mit einer peinlichen Situation an Mariekes Konfirmation erinnern konnte.
Tannenberg reagierte lediglich mit einem einsilbigen Satz und versuchte direkt danach mit Hilfe der Eröffnung eines Gesprächs mit seinem Bruder, sich von weiteren, unerwünschten Kontaktversuchen von Seiten der erlesenen Verwandtschaft seiner Schwägerin abzukoppeln.
„Tobi meint, du solltest mal ein bisschen an der Börse spekulieren, damit du ihm endlich einen höheren Lebensstandard bieten kannst.«
Anstelle Heiners reagierte Bettys Vater, der sich ihm gegenüber auf einem von seinen Enkeln freigemachten Wirtshausstuhl niedergelassen hatte. „Börse ist gut, Jungs. Aber Neuer Markt ist noch besser, vor allem die Branchenfonds sind klasse! Da kann man noch viel mehr verdienen. Ich hab mal bei meiner letzten Fahrt nach Luxemburg Elsbeth ein bisschen Geld – Schwarzgeld natürlich – mitgebracht. Sie träumt doch immer noch von ihrem Ferienhaus in der Toskana. Und Heiner will ja auch endlich mal ein gescheites deutsches Auto, und nicht nur immer diese Billig-Koreaner.« Dabei kniff er demonstrativ sein rechtes Auge zusammen und warf Tannenberg einen konspirativen Blick zu.
„Vater. Der Wolfram ist doch bei der Polizei!«, schimpfte Betty, der diese Mitteilung anscheinend sehr unangenehm war.
„Na und? Der ist doch mit uns verwandt!«, stellte der Jubilar grinsend fest und verließ wieder den Tisch.
„Das ist ja hochinteressant, was man da so alles hört!«, freute sich Tannenberg über diese Information. „Ich dachte immer für Leute wie euch, die stets nur mit Hammer und Sichel arbeiten, sei die Börse ein Teufelszeug des arbeiter- und bauernausbeutenden Kapitalismus? Und jetzt stellt ihr euer Geld diesen Menschenschändern zur Verfügung, die nichts anderes im Sinn haben, als Arbeitsplätze zu vernichten und die Globalisierung voranzutreiben.«
„Was für’n Quatsch!«, giftete Schwägerin Betty zurück. „Wir investieren unser Geld nur in ethisch einwandfreie Geldanlagen: Ökofonds, Windparks usw. Und in Dritte-Welt-Fonds, bei denen ein Teil der Gewinnausschüttung für den Aufbau humanitärer Projekte verwendet wird.«
„Respekt Elsbeth! Ich bin zutiefst beeindruckt! – Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie gerne ich genau diese Sorte Gutmenschen – diese scheinheiligen Fernethiker – mag?«
„Wieso Fernethiker? Wer bitte schön soll denn das sein?«
„Das sind solche vorbildlichen Humanisten wie du, solche strahlenden Leuchtsterne des sozialen Engagements, die sich für die Geknechteten in der Dritten Welt einsetzen, nur halbverfaulte, völlig überteuerte Bananen aus angeblichen Fair-Price-Projekten in Nicaragua in sich reinstopfen – und vor der eigenen Haustür den armen körperbehinderten Schwager schlecht behandeln.«
10
In den vergangenen beiden Arbeitswochen hatten sich in der Kaiserslauterer Mordkommission keine spektakulären Dinge ereignet. Die Tage waren geprägt gewesen von der gesamten Palette kriminalpolizeilicher Routinetätigkeit: Aktenstudium, Alibiüberprüfungen, Auswertung der Tatortspuren und gerichtsmedizinischen Erkenntnisse, Suche nach Beweismitteln und Motiven, erneute Rekonstruktion der Tatabläufe, Entwicklung von Erklärungsmodellen usw. Aber der
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