Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
anschließend die gereizte Gesichtshaut mit einem regelrechten Aftershave-Overkill, der auch jetzt noch penetrant zu riechen war und Tannenberg trotz der im Freien herrschenden Winterkälte dazu nötigte, das Zimmerfenster sperrangelweit aufzureißen.
Obwohl er sich in seiner Jugend dieses eklige, durchsichtige Gel niemals in die Haare geschmiert hätte, musste er doch zugeben, dass Tobi mit diesem Jungmännerstyling richtig gut aussah. Was er allerdings überhaupt nicht nachvollziehen konnte, war dieser merkwürdige Modetrend, der darin bestand, die Hosen so weit in die Kniekehlen zu ziehen, dass man Hosenträger anziehen musste und jeder die unterhosenbedeckten Pobacken betrachten konnte.
Dieser für Tannenberg bislang sehr erfreulich verlaufene Tag erfuhr seinen krönenden Abschluss in Form eines spontan von ihm einberufenen Skatabends, für den der vom Gipsverband glücklich Befreite drei Flaschen besten Barolo spendierte. Bruder Heiner ließ sich ebenfalls nicht lumpen und investierte einen Teil des am Nachmittag erzielten Spekulationsgewinns in eine von einem exklusiven italienischen Catering-Service zusammengestellte mediterrane Feinkostplatte, die in der fröhlichen Männerrunde wahre Begeisterungsstürme hervorrief. Und wie immer, wenn sich die drei Männer zum Kartenspielen trafen, hatte Dr. Schönthaler die obligatorischen Abschluss-Havannas besorgt.
»Sag mal, Wolf, hast du immer noch diese Kredite laufen«, fragte Heiner Tannenberg beiläufig, als er beim Schiebe-Ramsch das von seinem Bruder überreichte Kartenpaar ergriff, »die du damals aufgenommen hast, um für die Behandlungskosten von Lea aufkommen zu können?«
»Ja, und?«, fauchte der Kriminalbeamte unwirsch zurück, der überhaupt keine Lust hatte, sich an solch einem gelungenen Abend mit diesem leidigen Thema zu beschäftigen. »Lass mir doch mit diesem Kram meine Ruhe!«
»Ist ja schon gut. Ich meine es ja nur gut mit dir! Denk doch mal drüber nach!«
»Worüber?«
»Na, darüber, ob es nicht vielleicht ganz sinnvoll wäre, wenn du auch ein bisschen Geld für den Neuen Markt locker machen würdest.«
»Ich?«, fragte Tannenberg verblüfft und starrte seinen Bruder entgeistert an.
»Ja, du!«
»Von was denn, liebes Bruderherz, von was denn? Wie Du weißt, hab ich immer noch diese verfluchte Gehaltspfändung laufen.«
»Was hast du laufen?«, fragte der Pathologe betroffen nach.
»Eine Ge-halts-pfän-dung!«, antwortete Tannenberg, wobei er das Wort in die einzelnen Silben zerlegte und diese ganz langsam vortrug. »Noch nie was davon gehört? Na, bei deinem großen Vermögen ist das ja auch kein Wunder.«
»Warum hast du denn nie etwas davon erzählt? Mensch, Wolf, ich hätte euch doch damals Geld geliehen. Zinslos, natürlich! Ich leih dir auch jetzt noch was! Mann, oh Mann, so ein Hammer.«
»Quatsch Rainer, das kannst du vergessen! Das würde er doch nie annehmen. Dazu ist mein Bruder doch viel zu stolz! Ich hab ihm doch auch schon was angeboten. Aber dein Freund ist ja so was von stur, das gibt’s ja gar nicht! – Was ist denn eigentlich mit dir, machst du auch bei dem großen Monopoly-Spiel am Neuen Markt mit?«
Dr. Schönthaler ging augenscheinlich nicht auf die Frage ein. »Heiner, weißt du, was der alte Rockefeller getan hat, nachdem er in den 20er Jahren kurz vor dem Börsencrash, – der ja, wie du sicher weißt, damals die Weltwirtschaftskrise ausgelöst hat – von seinem Schuhputzer erfuhr, dass dieser seine paar Kröten in Aktien angelegt hat?«
»Nein, keine Ahnung!«
Der Gerichtsmediziner legte die Spielkarten verdeckt vor sich auf den Tisch, verzahnte seine Finger, als ob er beten wolle und sagte dann mit ruhiger Stimme: »Der ist sofort aufgesprungen, in die Wallstreet gerannt und hat seine gesamten Aktienbestände verkauft.«
»Warum?«, fragten beide Tannenberg-Brüder nahezu zeitgleich.
»Ganz einfach. Weil er sich gesagt hat: Wenn sich sogar schon mein Schuhputzer Aktien kauft, wer soll denn dann in Zukunft überhaupt noch welche kaufen? Dann hat doch jeder schon welche! Und genau das hab ich auch getan: alle Aktien verkauft.« Dann erhob er seine rechte Hand und warf seinen Zeigefinger einige Male in Heiners Richtung. »Du musst heutzutage nur den Schuhputzer durch die Bildzeitung ersetzen … Seit Tagen geht es in ihren Aufmachern um nichts anderes mehr als um diese Börsenhausse. Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um auszusteigen!«
Als Tannenberg nach der seit fast drei Wochen ersten
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