Goldstein
ein edles Restaurant am Rheinufer, ein moderner Bau mit Fenstern rundum, die einen faszinierenden Ausblick auf Dom und Rhein boten. Doch der Abend war verkorkst gewesen, bevor er überhaupt angefangen hatte. Obwohl sie kein Wort verloren über den Nachmittag, waren ErikaRath und die seltsame Begegnung im Café immer noch präsent. Vielleicht hätten sie besser ein paar Worte darüber verloren, aber Gereon zog es vor, darüber zu schweigen.
Tags darauf hatten sie den Raths den versprochenen Anstandsbesuch abgestattet. Charly immer noch als Verlobte, der Einfachheit halber. Erst an diesem Tag wurde ihr klar, dass Gereon sie seinen Eltern gegenüber noch nie mit einer Silbe erwähnt hatte. Die Raths fühlten sich überrumpelt von ihrer Anwesenheit und hätten sich noch überrumpelter gefühlt, wenn sie Erika Rath tags zuvor nicht versehentlich über den Weg gelaufen wären. Für Charly war dieser zweite verkorkste Nachmittag noch schlimmer als der erste. Dann waren sie abgereist, mit dem Nachtzug, wie geplant. Eine Woche Ostsee. Die Ferienwohnung in einem Kapitänshäuschen war winzig und wunderhübsch, das Wetter in Prerow prächtig, doch die Stimmung war zum Teufel, ein für alle Mal. Selbst der blaue Himmel über dem Darß hatte das Ganze nicht mehr retten können. Ihr erster gemeinsamer Urlaub: ein totaler Reinfall. Obwohl sie auch darüber nicht gesprochen hatten.
Sie hatten über gar nichts gesprochen, waren einfach wieder zur Tagesordnung übergegangen bei ihrer Rückkehr nach Berlin. Natürlich hätte sie den Anfang machen können, aber sie sah es gar nicht ein; das war seine Sache! Er hatte sie durch sein Schweigen doch überhaupt erst in diese Situation gebracht. Also war es auch seine Aufgabe, dieses Schweigen wieder zu brechen.
Sie wusste einfach nicht mehr, woran sie bei ihm war, und je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass sie das eigentlich noch nie gewusst hatte. Was wollte Gereon Rath von ihr? Wollte er sie heiraten? Dann sollte er sie verdammt noch mal fragen! Wollte er, dass sie dann ihren Beruf aufgab? Dann sollte er sich verdammt noch mal auf einen Korb gefasst machen!
Charly ging in die Küche und setzte Kaffeewasser auf. Es roch immer noch nach Hund; Kiries Gästekörbchen stand draußen im Flur unter der Garderobe. Im Badezimmerspiegel begutachtete sie die Ränder unter ihren Augen und beschloss, Webers Anweisung ausnahmsweise einmal zu befolgen und zuhause zu bleiben.
Sie frühstückte eine Scheibe Brot mit Honig und zwei Tassen Kaffee, dann war ihr Kopf langsam klar genug, dass sie zum Telefon greifen konnte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass er jetzt eigentlich im Büro sein müsste. Die Nummer kannte sie noch auswendig. Eine Sekretärin meldete sich.
»Ritter hier, guten Morgen«, sagte Charly. »Ich hätte gern Herrn Assessor Scherer gesprochen.«
46
I n der Nacht hatte Rath einen seltsamen Traum. Er tanzte mit Charly durchs Foyer des Excelsior und fühlte sich nicht wohl dabei, denn er war barfuß, und sie trat ihm dauernd auf die Füße, mit spitzen, hohen Absätzen. Die Musik spielte schräg und alles andere als taktsicher. Hinter der Rezeption glaubte er das Gesicht von Johann Marlow über dem goldbestickten Kragen der Excelsior -Uniform zu erkennen. An der Bar aber saß Abe Goldstein und trank in aller Seelenruhe Whisky aus riesigen Gläsern, einen nach dem anderen. Und bei jedem neuen Glas prostete er Rath zu und lächelte sein zynisches Lächeln. Immer noch lächelnd rutschte Goldstein plötzlich vom Barhocker und zog im gleichen Augenblick eine Pistole aus dem Jackett. In aller Seelenruhe legte er an, auf Rath, auf Charly, auf Marlow. Dreimal zog er den Abzug durch, dreimal löste sich ein Schuss, der Lauf spuckte Feuer, allerdings fehlte der Knall, stattdessen machte die Pistole jedes Mal, wenn Goldstein abdrückte, laut und ohrenbetäubend DRRRRRNNNG, DRRRRRNNNG, DRRRRRNNNG.
Rath schreckte hoch, seine Hände tasteten nach Charly, konnten sie jedoch nicht finden. Langsam wurde ihm klar, wo er sich befand, aber erst, als es ein viertes Mal DRRRRNNNG machte, merkte er, dass seine Türklingel da so penetrant schepperte. Verdammt! Wie spät war es? Wo war seine Armbanduhr? Sein Wecker stand noch in Moabit, er musste verschlafen haben.
Es klingelte ein fünftes Mal. Da war jemand verdammt hartnäckig. Rath stand auf und suchte seinen Morgenmantel, bis ihm einfiel, dass auch der in der Spenerstraße hing. Er fischte frische Unterwäsche und ein Paar
Weitere Kostenlose Bücher