Goldstein
eben nicht! Verstehst du das denn nicht? Ich will Alex vor der Fahndung finden!«
»Warum? Das ist doch nicht deine Sache. Du hast deinen Fehler wiedergutgemacht, den Rest erledigen andere.«
»Warum verstehst du denn nicht? Sie hat ihren Freund in den Tod stürzen sehen. Sie hat eine panische Angst vor blauen Uniformen, irgendetwas ist da passiert.«
»Das wird sich alles klären, wenn die Fahndung sie einkassiert.«
»Eben nicht! Ich werde das Gefühl nicht los, dass genau dann etwas Schreckliches passieren wird.«
Rath schaute sie ungläubig an. »Das ist nicht dein Ernst! Hast du aus dem Kaffeesatz lesen lassen, oder wie kommst du auf so etwas?«
»Du bist so ein Ignorant!«
»Ich bin nur realistisch. Ich habe das Gefühl, dass du dich in diese Sache verrennst. Du bist nicht die Mutter dieses Straßenmädchens. Glaub mir, die ist mit allen Wassern gewaschen, die braucht deine Hilfe nicht.«
Charly schwieg, aber es war ein unheilvolles Schweigen.
Die Lichter der nächtlichen Stadt glitten vorbei. Erst als sie sich über den Baustellenengpass auf der Jannowitzbrücke quälten, meldete Charly sich wieder zu Wort.
»Fahr bitte ran da vorne«, sagte sie.
»Wie?«
»Lass mich aussteigen hinter der Brücke.«
»Was ist denn los?« Rath setzte den Winker und tat wie geheißen. Den Motor machte er aus, um ihnen das Leerlaufgerumpel zu ersparen.
»Was soll los sein? Ich merke gerade nur, dass ich mit dir nichtüber dieses Thema reden kann. Du nimmst mich nicht ernst, und das kann ich im Moment nicht ertragen. Ich möchte allein sein.«
Rath seufzte. »Charly, ich nehme dich ernst. Aber du bist keine barmherzige Samariterin! Du bist Juristin!«
»Ich sag ja, du verstehst mich nicht. Wenn du mir nicht helfen willst, dann mach ich es eben alleine. Und jetzt lass mich bitte raus.«
So ein verdammter Sturkopf, diese Frau! Rath sah ihrem Gesicht an, dass sie es tatsächlich ernst meinte. Ihre nassen Schuhe hatte sie schon wieder angezogen. Er öffnete die Tür und kletterte aus dem Wagen, um sie hinauszulassen. Der Hund wunderte sich, dass er auf die Holzbank gesetzt wurde und nach Herrchen nun auch Frauchen einfach ausstieg.
»Bitte, wenn du es so willst«, sagte Rath und merkte mit einem Mal, wie wütend er selber war. »Das ist dann ja wirklich der passende Abschluss für diesen verkorksten Abend!«
»Finde ich auch«, sagte sie und knöpfte ihren Mantel zu. »Dann sind wir uns ja ausnahmsweise einmal einig heute.«
»Soll ich dich nicht wenigstens in die Spenerstraße fahren?«
»Danke, ich nehme die S-Bahn.«
Sie zögerte einen Moment, bevor sie zum Bahnhof hinüberging, und er wusste nicht, ob er ihr einen Abschiedskuss geben sollte oder nicht. Während er noch zauderte, hatte sie sich schon entschieden.
»Gute Nacht, Gereon«, sagte sie, wenigstens das, doch als sie es sagte, war sie schon dabei sich umzudrehen. Sie presste ihre Handtasche vor die Brust und ging mit schnellen Schritten zum S-Bahnhof hinüber, auch der im Moment eine einzige Baustelle – wie so Vieles in dieser Stadt.
Rath blieb stehen und schaute ihr nach, wie sie zwischen den Baugerüsten im Bahnhofsgebäude verschwand. Es kam ihm unwirklich vor. Der Impuls, ihr hinterherzulaufen, regte sich, doch sein Stolz, oder was es auch war, lähmte ihn. Sollte sie doch gehen! Hoffentlich verpasste sie die Bahn! Wer so stur war wie Charlotte Ritter, der sollte auch die Konsequenzen tragen!
Kirie bellte kurz auf, der Hund schien das alles überhaupt nicht zu verstehen. Rath eigentlich auch nicht.
»Da guckst du, was?«, sagte Rath, als er neben Kirie auf die Holzbank des Hanomag rutschte. »Wie es aussieht, wohnen wir erst mal wieder am Luisenufer. Allein.«
Von der Jannowitzbrücke war es nicht weit zu seiner Wohnung, der Hanomag schaffte die Strecke ohne Mucken. Während der ganzen Fahrt musste Rath an Charly denken, wie sie da im Bahnhof verschwunden war und er ihr nachstarrte, unfähig, sich zu regen. Er hätte ihr wenigstens noch etwas hinterherrufen sollen. »Geh bitte nicht!« oder »Hau doch ab!«
Beides wäre ehrlich gewesen.
Was war los mit Charly? Was war los mit ihnen? Nicht erst dieser Abend war verkorkst, die ganzen letzten Wochen waren es. Seit den Tagen in Köln war der Wurm drin. Da war einiges schiefgelaufen, aber das konnte doch nicht noch Wochen später alles andere zwischen ihnen vergiften!
Am Luisenufer blieb er noch eine Weile im Wagen sitzen und schaute durch die Windschutzscheibe in die Nacht. Dieses verdammte,
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