Goldstein
»ja, ich habe den toten Nazi ins Gebüsch gezerrt!«
»Sie geben es also zu!«
»Nichts gebe ich zu! Dass ich ihn versteckt habe, gebe ich zu. Aber ich habe ihn nicht getötet.«
»Das wollen Sie mir allen Ernstes weismachen?«
»Das ist die Wahrheit.«
»Wenn Sie ihn nicht getötet haben – wieso haben Sie die Leiche dann versteckt?«
Leo Fleming seufzte. Er hatte sich wieder etwas beruhigt. »Ich treffe mich doch jeden Morgen mit meinem Mädchen da an der Kirche«, sagte er. »Ich wollte nicht, dass ich Schwierigkeiten bekomme. Oder sie.«
»Na, das ist Ihnen ja prima gelungen. Gratuliere.«
»Soll ich jetzt erzählen oder nicht?«
»Erzählen Sie.«
48
E in paar dunkle Flecken auf den Gehwegplatten, Spuren der hartnäckigsten Pfützen, zeugten noch vom Regen heute Morgen. Doch jetzt zeigten sich nur vereinzelte Wolken am blauen Himmel, und die dachten nicht daran, sich abzuregnen. Hier zu sitzen, bei Kaffee und Cognac, das hatte schon etwas. Die Getränke wärmten von innen, die Sonne von außen, und in regelmäßigen Abständen erschien der Kellner und brachte neuen Cognac, neuen Kaffee und alles, was man sonst noch wünschte. Sogar eine Evening Post hatte er ihm besorgen können. Im Café Reimann ging es ziemlich international zu. Englisch, Französisch und Russisch hatte er schon gehört in den anderthalb Stunden, die er hier bereits saß. Goldstein mochte die europäische Sitte, Tische und Stühle auf die Gehwege zu stellen, und hier auf dem Kurfürstendamm waren die Gehwege besonders breit. Und die Passanten, meist elegant gekleidete Menschen, darunter viele hübsche Frauen, boten ein niemals langweilig werdendes Schauspiel.
Keine Neuigkeiten aus Brooklyn in der Evening Post , jedenfalls nicht die, die ihn interessierten. Über Fat Moe keine Zeile, nichts vom Krieg der New Yorker Gangs. Die Zeitung war sechs Tage alt, eine aktuellere war in dieser Stadt nicht zu bekommen, aber er war froh, überhaupt etwas lesen zu können, das ihn über die Ereignisse zuhause auf dem Laufenden hielt. Und ihn hoffentlich recht bald über Moes weiteres, im besten Fall tödliches Schicksal informierte.
Die Tage des Dicken waren gezählt, so viel stand fest, alles nur noch eine Frage der Zeit. Allzu vielen war Moses Berkowicz in der Vergangenheit auf die Zehen getreten, allen voran den Italienern. Moe hatte das längst geahnt, so gut funktionierten seine Instinkte noch, und deshalb war er immer misstrauischer geworden in den letzten Monaten, hatte immer mehr Leute aus dem Weg räumen lassen, vermeintliche und wirkliche Feinde. Und mit jeder Leiche war seine Lage schlimmer geworden. Ein letztes Aufbäumen, ein letzter Blutrausch vor dem Untergang, der immer mehr auch engste Vertraute erfasste. Als schließlich sogar Skinny Sally auf der schwarzen Liste gelandet war, Moes alter Weggefährte Salomon Epstein, die wandelnde Rechenmaschine, dessen Präzisionsgehirn mehr zum Aufstieg des dicken Gangsters beigetragen hatte als die Waffen und Muskeln seiner Gang, da hatte Abe gewusst, dass nun niemand mehr sicher war vor dem Misstrauen des Dicken. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte Abraham Goldstein einen Auftrag nicht erledigt.
Skinny Sally war das Herz in die Hose gerutscht, als er an diesem Abend das Licht in seiner Wohnung angedreht und den Killerseines Herrn auf dem Sofa hatte sitzen sehen. Sein Blick hatte nur eines gesagt: Mach es kurz.
Abe hatte ihn beruhigt. »Don’t worry, Sally. If I wanted to kill you, you’d be dead already.«
Und Salomon Epstein hatte sofort verstanden. Dass dieser Besuch eines Killers, der nicht schießen wollte, eine Botschaft war. Eine Botschaft, die bedeutete, dass es ratsam wäre, für ein paar Wochen zu verschwinden, irgendwo in den hintersten Winkel des Landes zu reisen und sich vor Fat Moe Berkowicz und seinen Leuten so gut zu verstecken wie nur irgend möglich.
Der dürre Zahlenjongleur hatte wortlos begonnen, Hemden und Hosen in einen kleinen Koffer zu packen, und Abe Goldstein hatte seit jenem Abend einen neuen Freund.
An jenem denkwürdigen Tag, als er Skinny Sally entkommen ließ, anstatt ihn zu töten, hatte Abe Goldstein die Passage bereits gebucht. Das Schreiben aus Berlin, wenige Tage zuvor in seinem Briefkasten, hatte ihm die Entscheidung leicht gemacht. Die vier Tage bis zur Reise hatte Abe neben gepackten Koffern in einem billigen Hotel verbracht, war nur zum Zeitung- und Zigarettenkaufen kurz auf die Straße hinuntergegangen. Las einen Tag vor seiner Abreise,
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