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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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angestaut. Nicht einmal der Ausbruch gestern Abend hatte geholfen; schon in der S-Bahn hatte die Wut wieder in ihr genagt, hatte sie bis nach Hause begleitet, bis ins Bett, bis in ihre Träume.
    Das Schlimmste war, dass sie nicht einmal genau wusste, warum sie überhaupt wütend war. Nicht einmal, ob sie wirklich nur auf ihn wütend war oder vielleicht auch auf sich selbst. Viel mehrvielleicht sogar auf sich selbst. Das Schweigen der letzten Wochen war es, das ihre Wut ins Unermessliche hatte wachsen lassen, und dieses Schweigen war eben nicht nur Gereons Schweigen gewesen, es war auch ihr eigenes.
    Sie traute ihm nicht mehr. Sie wusste nicht mehr, was er dachte über sie und ihre Arbeit. Nahm er sie wirklich ernst? Oder ließ er sie nur gewähren, um sie nicht zu vergraulen? Was verdammt noch mal wollte er von ihr?
    Wenn Sie erst verheiratet sind, dann müssen Sie ja auch nicht mehr arbeiten.
    Die Worte seiner Mutter. Und Gereon hatte nichts dazu gesagt. Weil er genauso dachte?
    Charly konnte diese Worte nicht vergessen. Sie hatte Erika Rath nur ein wenig von ihrer Arbeit im Amtsgericht Lichtenberg erzählen wollen. Um das stockende Gespräch in Gang zu bringen in diesem stickigen Café. Und dann dieser eine Satz, der ein noch verlegeneres Schweigen auslöste. Charly hatte dage­sessen und nichts erwidern können. Gereon hatte seine Schuhspitzen betrachtet und an seinem Kaffee genippt. Und Mutter Rath schien gar nicht bemerkt zu haben, was sie da angerichtet hatte.
    In all den Monaten, da sie nun ein Paar waren, hatten sie noch kein einziges Mal über das Heiraten gesprochen, nicht einmal scherzhaft, geschweige denn, dass Gereon ihr einen Antrag gemacht hätte. Gleichwohl hatte er sie seiner Mutter einfach nassforsch als meine Verlobte vorgestellt, der Einfachheit halber , wie er ihr zugeflüstert hatte, als sie Mutter Rath vor einem großen Warenhaus zufällig in die Arme gelaufen waren.
    Die Tage in Köln waren das Schlimmste, was sie in den letzten Jahren erlebt hatte. Ein totaler Reinfall. Und dabei hatte sie sich so darauf gefreut, mal ein paar Tage aus Berlin herauszukommen, Gereons alten Freund Paul wiederzusehen, und zum ersten Mal seine Heimatstadt zu sehen. Und es hatte ja auch vielversprechend angefangen.
    Mit dem Spiel hatte er sie gelockt. Sie hatte Hertha ein paarmal in der Plumpe gesehen, aber noch nie auf fremdem Terrain und noch nie in einem Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Und was für ein Spiel! Hertha hatte zur Halbzeit unglücklich hintengelegen gegen München, das Spiel dann aber noch gedreht, dank Hanne Sobek. Und dann der Siegtreffer kurz vor dem Abpfiff, sie war Gereon um den Hals gefallen und dann auch Paul, und die beiden Männer hatten sich amüsiert über die einzige Frau, die sich für Fußball interessiert . Sie hatten die Meisterschaft in der Kölner Altstadt gefeiert, zusammen mit Berliner Schlachtenbummlern und einigen sympathisierenden Rheinpreußen, und irgendwann hatte Paul sich diskret verabschiedet. Gereon hatte ein Zimmer mit Rheinblick gebucht, und als sie, bereits im Nachthemd, am Fenster stand und auf die Lichter schaute, die sich im Fluss spiegelten, und er sie in den Arm nahm und auf den Nacken küsste, da hatte sie sich so glücklich gefühlt wie schon lange nicht mehr. Wie trügerisch dieses Gefühl war, sollte sie erst am nächsten Tag merken. Als sie bei ihrem Bummel durch Kölner Einkaufsstraßen von einer Frau überrascht worden waren, die Gereon ihr als meine Mutter vorstellte, um dann auf Charly zu zeigen und zu sagen: »Fräulein Ritter. Meine ... Verlobte.«
    Erika Rath hatte die Augen aufgerissen in einer Mischung aus Neugier und Misstrauen und hatte sie gleich ins nächste Café geschleppt. »Ich hätte Sie natürlich zu uns nach Hause eingeladen«, hatte sie zu Charly gesagt. »Aber Gereon erzählt ja auch nie etwas.«
    Gereon war so kleinlaut, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. »Ich ... wir wollten euch natürlich noch besuchen«, hatte er gesagt. »Es sollte eine Überraschung sein. Wir sind gestern erst angekommen.«
    Dann hatten sie dagesessen, Mutter und Sohn, und sich angeschwiegen. Und Charly hatte ein wenig von ihrer Arbeit im Amtsgericht erzählt. Bis Erika Rath ihre Meinung zu Ehe und Beruf kundgetan hatte. Und sie das Schweigen, das mit einem Mal eisig geworden war, fortgesetzt hatten.
    »Wir besuchen euch morgen«, hatte Gereon gesagt, »aber Vater nichts verraten, es soll eine Überraschung sein.«
    Am Abend hatte Gereon sie ausgeführt,

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