Goldstein
Eindruck, wie er da auf dem unbequemen Holzstuhl in Vernehmungsraum B saß und feindselig guckte. Dass sie einen Volltreffer gelandet hatten, das war Gräf gestern schon klar geworden, schon bei der Verhaftung Leo Flemings, die er zusammen mit einem Trupp Uniformierter vorgenommen hatte. Der Untermieter von Renate Schobeck hatte derart schuldbewusst aus der Wäsche geguckt, für einen Moment sogar nach möglichen Fluchtwegen geschielt, als Gräf seine Polizeimarke gezückt hatte. Dann aber hatte der Mann sich doch widerstandslos festnehmen lassen. Gräf hatte auch Böhm informieren wollen und Grabowski, aber den Ermittlungsleiter hatte er auf die Schnelle einfach nicht erreichen können, also hatte er die Sache allein in die Hand genommen.
Die richtige Entscheidung, zweifellos, und dennoch hatte Böhm ihn heute Morgen erst einmal angeraunzt. Und dann zum Zuschauer degradiert. Der Oberkommissar wollte die Vernehmung höchstpersönlich leiten.
Der Kriminalsekretär saß direkt neben seinem Chef, auf dem Stuhl an der anderen Tischseite hockte Leo Fleming. Böhm sagte erst einmal gar nichts, das hatte er wohl von Gennat abgeguckt. So billig der Trick war, er hatte Erfolg. Fleming wurde zusehends nervöser und polierte den Stuhl mit seinem Hosenboden.
Böhm blieb ungerührt. »Erzählen Sie uns doch mal, was Sie vorgestern Nacht im Humboldthain gemacht haben«, sagte er schließlich so unvermittelt, dass Fleming zusammenzuckte.
»Im Humboldthain? Wie kommen Sie denn darauf, dass ich da was gemacht habe?«
Böhm klappte die Akte auf, die vor ihm lag. »Sie waren Mitglied des Rotfrontkämpferbundes«, las er vor. »Haben sich schon öfter mal mit Nazis geprügelt, nicht wahr?«
»Und wenn schon!«
»Auch seit es den RFB nicht mehr gibt. Oder vielmehr: nicht mehr geben darf.«
»Aber die SA gibt es noch, und die darf ungestraft prügeln.«
»Niemand in unserem Land darf ungestraft prügeln.«
»Natürlich gibt es ab und zu mal Keile, wenn die Braunen sich zu weit vorwagen. Haben Sie schon mal erlebt, wie sich so ein SA-Trupp aufführt? Sie müssen nicht glauben, dass die Roten den Streit immer anfangen.«
»Aber sie gehen ihm auch nicht aus dem Weg, richtig?«
»Wir sind schließlich keine Feiglinge.«
Böhm nickte. Es wirkte beinahe verständnisvoll. »Und in der Nacht auf Mittwoch«, sagte er, »ist so eine Schlägerei etwas aus dem Ruder gelaufen, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich war nicht im Humboldthain in dieser Nacht. Ich geh doch mitten in der Nacht nicht in einen Park!«
»Und wie kommt das Blut an Ihre Kleidung?«
»Hab ich doch schon gesagt! Hab mich geschnitten. Beim Kartoffelschälen. Hat Frau Schobeck Ihnen das denn nicht erzählt? Fragen Sie die!«
»Mit Frau Schobeck haben wir schon gesprochen«, sagte Gräf, und Fleming schaute ihn irritiert an.
»Und? Hat sie das denn nicht bestätigt? Ich habe ihr die Sachen doch schon zum Waschen gegeben.«
»Wir haben das Blut inzwischen untersucht«, meinte Böhm. »Blutgruppe B.«
»Na und?«
»Sie haben Blutgruppe null, Herr Fleming.«
Der Kommunist wurde kreidebleich.
»Und raten Sie mal, wer ebenfalls Blutgruppe B hat«, setzte Böhm nach. Fleming schwieg; er konnte sich die Antwort wahrscheinlich denken. Dennoch sprach der Oberkommissar nach einer kurzen Pause weiter. »Genau. Gerhard Kubicki, der Tote vom Humboldthain.«
»Das ist Zufall.«
»Erzählen Sie mir keinen Blödsinn!« Böhm war mit einem Mal laut geworden. »Warum erzählen Sie mir diesen Mist von wegen: beim Kartoffelschälen geschnitten? Wollen Sie mir wirklich weismachen, Sie hätten Kubicki noch nie in Ihrem Leben gesehen?«
Der Wutausbruch des Oberkommissars hatte den Kommunisten sichtlich eingeschüchtert. Er saß stocksteif auf seinem Stuhl und schwieg.
Böhm warf eine Anstecknadel auf den Tisch. Eine Faust hielt ein Gewehr, an dem eine Fahne flatterte, auf der wiederum geschrieben stand: 4 . Reichstreffen Berlin Pfingsten 1928 , und darunter die Buchstaben R.F.B. Fleming starrte auf den Anstecker.
»Sie haben kein Recht, meine Wohnung zu durchwühlen«, sagte er. »Dazu brauchen Sie einen Durchsuchungsbefehl.«
Böhm lehnte sich zufrieden zurück. »Wir haben Ihre Wohnung nicht durchsucht«, sagte er. »Diesen Anstecker hat der Bestatter gefunden. Lag unter der Leiche von Gerhard Kubicki. Und der war ja wohl nicht im RFB.«
Fleming warf seinen Kopf hin und her. Und dann schrie er die Antwort förmlich heraus. »Ja, verdammt«, brüllte er,
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