Goldstein
dass es im Congo Club auf der Amsterdam Avenue eine üble Schießerei gegeben hatte, ein Blutbad, bei dem fünf Tote zu beklagen waren. Das Congo war einer der Speak easys von Moses Berkowicz. Der hätte eigentlich selbst dort sitzen sollen an diesem Abend, hatte es aber vorgezogen, den Laden ganz gegen seine Gewohnheit schon um zehn Uhr zu verlassen. Nach diesem ersten unverhohlenen Anschlag auf sein Leben, einem Anschlag, der ganz die Handschrift der Italiener trug, war Moe abgetaucht. Das hatte Abe erst recht gezeigt, wie wichtig es war, dass er endlich die Stadt verließ. Ein waidwunder Moses Berkowicz war gefährlicher denn je.
Wie richtig er damit lag, merkte Goldstein, als er einen Tag später endlich auf dem Oberdeck der Europa stand. Als er an die Reling gelehnt die frische Brise genoss, die vom Meer den Fluss hinaufwehte, und auf die Menschen unten am Pier hinunterblickte, machte er zwei junge Männer in hellgrauen Sommermänteln aus, die sich etwas zu unauffällig benahmen. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen, hätte aber alles darauf verwettet, dass die beiden sich derzeit Kost und Logis mit Fat Moe teilen mussten, in einem verlaustenApartment irgendwo in der Bronx. Das also war das letzte Aufgebot des Dicken: zwei Anfänger, irgendwo auf der Straße aufgelesen, die aussahen, als trügen sie zum ersten Mal im Leben Anzüge. Einer der Kerle zeigte nach oben, als er den Mann entdeckt hatte, den sie erledigen sollten. Abe winkte den Killern freundlich lächelnd zu, ohne Risiko, der Dampfer hatte gerade mit dem Ablegen begonnen, das Nebelhorn tutete ohrenbetäubend laut seinen Abschiedsgruß an Manhattan. Doch einer der beiden Männer – vielleicht dachte er, dass man bei diesem Lärm einen Schuss nicht hören könne – zog tatsächlich seine Knarre und legte an auf das Oberdeck der Europa . Der andere fuhr ihm im letzten Moment in die Parade, ein Cop war schon auf die beiden aufmerksam geworden, und Moes Killerkindergarten hatte es vorgezogen, sich unsichtbar zu machen.
Nachdem er vergeblich nach der Todesanzeige von Moses Berkowicz gesucht hatte, blätterte Goldstein durch den Sportteil. Auch dort keine erfreulichen Neuigkeiten. Die Dodgers hatten mal wieder verloren.
»Anything else, Sir?« Der Kellner war an seinen Tisch getreten. Er fragte ebenso höflich wie weltläufig, in Erwartung eines üppigen Dollartrinkgeldes.
»Schwarzwälder Kirsch, please.«
Der Kellner nickte anerkennend angesichts der unfallfreien Aussprache. So hatte er diese Bestellung wohl noch von keinem amerikanischen Touristen gehört.
Goldstein lehnte sich zurück, zündete sich eine Camel an und beobachtete ein Mädchen im luftigen Sommerkleid. Sie schien es zu bemerken, jedenfalls drehte sie sich kurz zu ihm um und schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. Er lächelte zurück, als sie mit elegantem Satz über eine Pfütze sprang, und zerknüllte die leere Zigarettenschachtel. Seine Vorräte gingen langsam zur Neige. Eine einzige Zwanzigerschachtel lag noch in seiner Suite, und bislang war es ihm nicht gelungen, in dieser Stadt eine Bezugsquelle aufzutun. Im Tabakladen des Hotels hatte er keine Camel finden können, obwohl der eigentlich einen gut sortierten Eindruck machte, nicht einmal im großen Bahnhof gegenüber. Vielleicht sollte er die amerikanische Botschaft anschreiben. Oder es hier in dieser Gegend versuchen. Hier im reichen Westen der Stadt schienen sich die meisten amerikanischen Touristen herumzutreiben.
Auf dem Nachbartisch hatte jemand eine Zeitung liegen gelassen. Eine Berliner Zeitung. Goldsteins Blick war an einem Foto hängen geblieben, ein Porträt, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Er langte hinüber und griff sich das Blatt. B.Z. am Mittag stand auf dem Titel, und auf der ersten Lokalseite prangte die Schlagzeile: SA -Mann ermordet . Darunter, in den Artikel eingeblockt, das Foto. Dort trug der Mann einen akkuraten Scheitel, ansonsten aber erinnerte er fatal an Schlagring-Gerd von gestern Abend. In der Bildzeile stand auch sein Name: Opfer einer politischen Rauferei? Gerhard Kubicki ( 27 ).
»Schwarzwälder Kirsch, der Herr. Wünsche guten Appetit.«
Der Kellner stellte einen Teller mit einem großen Stück Kuchen auf den Tisch und entfernte diskret die zerknüllte Zigarettenschachtel. Goldstein nickte nur und las weiter in der Zeitung. Der Artikel beseitigte die letzten Zweifel.
BERLIN. Die blutige Leiche eines 27jährigen Mannes fand die Polizei gestern morgen im Volkspark Humboldthain in der Nähe
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