Goldstein
herausnehmen lassen. Die lagen jetzt gut versteckt im Wohnzimmerschrank am Luisenufer und warteten auf ihren nächsten Einsatz. Wenn es denn überhaupt jemals dazu kommen sollte.
Er verfluchte seine eigene Unentschlossenheit. Er hätte sie längst fragen sollen, oder es für immer bleiben lassen.
Sollte man einer Frau, der ihre berufliche Karriere offensichtlich wichtiger war als Kinder und Ehe, wirklich einen Heiratsantrag machen? Rath wusste nicht mehr, was richtig war und was falsch. Manchmal wünschte er sich, der Generation seiner Eltern anzugehören, da waren diese Dinge noch einfacher gewesen. So glaubte er jedenfalls.
Er hatte sich schon einmal verlobt in seinem Leben, und damals war das ganz einfach gewesen, aber seine Verlobung mit Doris, die ihn hatte fallen lassen, als er nach der Agnesviertel-Schießerei in die Schlagzeilen geraten war, hatte nicht lange gehalten. Zum Glück. Sie hätten im besten Falle eine Ehe geführt wie Engelbert und Erika Rath. Und darauf konnte er verzichten.
Er wollte Charly und keine andere. Warum hatte er ihr das dann nicht längst gesagt?
»Verdammt!«, rief er laut in den Wagen, und Kirie, die rechtschaffen auf dem Beifahrersitz gedöst hatte, schreckte hoch und schaute ihn erstaunt an.
Verdammt, er wollte sie! Warum sollte er ihr das nicht gleich sagen, jetzt sofort? Und dann sollte sie sich entscheiden, ja oder nein. Etwas anderes gab es nicht, nichts dazwischen, kein Warten, kein Vielleicht. Er wollte es endlich wissen! Und dann würde er ihre Antwort akzeptieren, ganz gleich, wie sie ausfallen würde. Aber er wollte endlich eine Antwort haben! Er hielt diese Ungewissheit einfach nicht länger aus. Jetzt und heute die Entscheidung!
Rath fühlte sich mit einem Mal voller Optimismus. Der Optimismus eines Selbstmordkandidaten, der endlich Mut gefasst hat und gerade in den Aufzug des Funkturms gestiegen ist für den letzten Sprung.
Er hatte das Hallesche Tor schon passiert und wendete den Buick unter dem Stahlgestänge der Hochbahn. Er fuhr den Weg zurück, den er gekommen war, fuhr die Stresemannstraße hoch, fuhr vorbei am Excelsior , fuhr immer Richtung Norden, bis er Moabit endlich erreicht hatte.
In der Spenerstraße blieb er noch eine Weile im Wagen sitzen. Sollte er aussteigen oder nicht? Seinem Impuls nachgeben oder erst einmal zur Vernunft kommen? Er klopfte eine Zigarette aus dem Etui, und Kirie wunderte sich. Waren sie nun zuhause oder nicht? Warum stieg denn niemand aus?
Dass sein Rat so eindeutig ausfallen würde, hätte sie nicht gedacht. Aber diese Eindeutigkeit tat ihr gut, das ganze Gespräch tat ihr gut, sie hätte ihn schon längst einmal anrufen sollen; allein wegen Gereons dämlicher Eifersucht hatte sie das nicht getan. Weil Guido nun einmal ein rotes Tuch für ihn war. Na und? Wessen Problem war denn das, doch nicht ihres?
Jetzt saß Guido, mit dem sie die meiste Zeit ihres Studiums zusammen gelernt und gelitten hatte, wieder in ihrer Küche, und es war wie in alten Zeiten, als er ihr geraten hatte, das Examen ein zweites Mal anzugehen. Einen besseren Ratgeber für ihr vertracktes Karrieredilemma hätte sie sich jedenfalls nicht wünschen können.Gerichtsassessor Guido Scherer war jemand, der sich auskannte in den beruflichen Möglichkeiten, die sich einem Juristen – und einer Juristin – boten.
»Natürlich musst du Heymanns Angebot annehmen«, sagte er. »Weißt du eigentlich, was für eine Ehre das ist?«
»Klar weiß ich das, aber was soll ich mit der Ehre anfangen?«
»Nach so einer gemeinsamen Forschungsarbeit hast du einen Namen in der akademischen Welt!«
»Aber vielleicht will ich das gar nicht! Ich will keinen Namen in der akademischen Welt; ich möchte mehr Gerechtigkeit in der richtigen Welt.«
Guido lächelte. Er lächelte oft. Auch eine Sache, die Gereon an ihm hasste, aber der hatte ihren alten Kommilitonen ohnehin nie leiden können. Obwohl sie dem lieben Herrn Rath erklärt hatte, dass keinerlei Grund zur Eifersucht bestehe, dass sie sich mit Guido Scherer auf rein freundschaftlicher Ebene treffe, hatte Gereon das nicht glauben können.
»Der ist doch immer noch hinter dir her, merkst du das nicht?«, hatte er gesagt.
»Du übertreibst. Wir haben uns längst arrangiert. Er weiß, dass er bei mir nicht landen kann.«
»Und trotzdem sieht er dich an, als ... als ... Und dieses dämliche Grinsen!«
»Geh mir nicht auf die Nerven mit deiner Eifersucht! Und versuche ja nicht, mir meine Freunde auszureden!«
Seitdem war
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