Goldstein
Gereon vorsichtiger geworden, hatte sich in seiner Kritik zurückgenommen. Und dennoch hatte sie Guido immer seltener getroffen.
Charly spürte, wie ihre Wut wieder wuchs, weil Gereon es geschafft hatte, ihr einen ihrer besten Freunde madig zu machen. Und jetzt, wo sie sich seit über einem Jahr zum ersten Mal wieder mit ihm traf und sie über Gott und die Welt und die Juristerei sprachen, merkte sie, wie sehr ihr diese Gespräche gefehlt hatten, Gespräche, die mit Gereon Rath nun einmal nicht möglich waren. Und die sie gerade jetzt brauchte, nach dem Ärger in Lichtenberg, nach ihrem Ärger mit Weber und den anderen altgedienten Kollegen, die nur darauf warteten, sie loszuwerden. Wie gut es tat, darüber mit jemandem zu reden, der sich in diesen Dingen auskannte und der ihre Kompetenz in juristischen Fragen schätzte. Bei Gereon war sie da letzten Endes nicht so sicher. Trotz allem.
»Noch einen Schluck?«
Guido nickte, und Charly goss noch ein wenig von dem Rotwein ein, den sie eigentlich mit Gereon hatte trinken wollen. Um über das gleiche Thema zu sprechen. Heymanns Angebot.
Sie stand auf. »Wenn du mich entschuldigst. Ich muss mal eben für kleine Mädchen.«
Charly war gerade verschwunden, und ihr Besucher hatte sein Glas zum Mund geführt, da klingelte es an der Wohnungstür.
Rath wickelte das Papier von den Blumen. Er war nervös. Der ganze Elan, den er auf der Fahrt verspürt hatte, die Entschlossenheit, das Bewusstsein, das einzig Richtige zu tun, all diese großen Gefühle waren ziemlich klein geworden, jetzt, wo er vor der Tür stand. Schon draußen auf der Straße hatte er erst einmal ein paar Schritte gehen müssen, um etwas ruhiger zu werden, hatte im Blumenladen unten an den Stadtbahnbögen einen Strauß Rosen besorgt und war schließlich zurückgekehrt, bis er wieder vor ihrem Haus stand. Kirie, die es gewohnt war, direkt vom Auto in die gute Stube zu gehen, hatte ihr Herrchen mehr als einmal verwundert angeschaut, aber alles geduldig ertragen, wie Hunde eben die Marotten ihrer Menschen geduldig ertragen.
Nun wedelte sie mit dem Schwanz, wahrscheinlich weil sie Charly schon riechen konnte. Doch schien sie nicht da zu sein, in der Wohnung rührte sich nichts. Rath klingelte noch einmal. Er glaubte schon, umsonst gekommen zu sein, sie war womöglich wieder in Friedrichshain, am Müggelsee oder sonstwo unterwegs auf der Suche nach diesem Mädchen, da hörte er doch noch Schritte in der Wohnung und stellte sich kerzengerade. Sein Herz klopfte. Sie würden sich wieder versöhnen, das würden sie, er wusste es! Ob sie allerdings seinen Antrag annehmen würde, da war er alles andere als sicher, dafür würde sein Charme allein nicht reichen. Verdammt, da musst du durch, sagte er sich. Entweder ganz oder gar nicht!
Die Tür öffnete sich, und Rath erstarrte. Sein reumütiges, aber dennoch jungenhaft freches Lächeln, das ihm eigentlich gut zu Gesicht stand, fror ein, als er erkannte, wer ihm die Tür geöffnet hatte.
»Herr Rath!«, sagte der Grinsemann, beinahe als freue er sich, und grinste.
Rath brachte keinen Ton heraus, keinen einzigen. Das konnte doch nicht sein! Genau diese Situation hatte er schon einmal erlebt. Damals war er wortlos umgedreht, die Wut war später gekommen und hatte sich anderswo ausgetobt. Dazu war er jetzt nicht in der Lage. Er stand da wie angewurzelt und spürte plötzlich, wie die Wut in ihm aufstieg und Besitz von ihm ergriff, eine riesenhafte Wut, der er im Moment nichts entgegenzusetzen hatte, der er im Moment auch nichts entgegensetzen wollte. Und als er das wusste, konnte er sich endlich wieder bewegen, nach einer gefühlten Ewigkeit. Er holte aus und zog dem Mann, der ihn immer noch erwartungsvoll anschaute und gerade etwas gesagt hatte, das klang wie »Wollen Sie nicht hereinkommen?«, rechts und links den Rosenstrauß durchs Gesicht, langstielige Rosen, mit großen, spitzen Dornen. Kirie bellte, weil sie jeden anbellte, gegen den ihr Herrchen kämpfte, und das Bellen des Hundes war es, das Rath wieder zur Besinnung brachte und ihn davon abhielt, dem Grinsemann, der tatsächlich immer noch grinste, obwohl das Blut ihm schon ein paar dünne Striche ins Gesicht gezeichnet hatte, die langsam dicker wurden, dieses dämliche Grinsen mit einer linken Geraden aus dem Gesicht zu prügeln. Rath pfefferte dem Mann lediglich den arg zerrupften Rosenstrauß vor die Füße, nahm Kiries Leine und ging die Treppe hinunter, zurück zum Auto.
50
W ortlos stellte der Wirt
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