Goldstein
jedenfalls auch nicht. Ich kenne die Akte ziemlich genau.« Rath merkte, dass es an der Zeit war einzulenken. Er wollte sich mit seinem Freund nicht über Politik streiten. Solche Themen mieden sie normalerweise. Genau wie das Thema Charlotte Ritter. Obwohl Rath gerade zu diesem Thema im Moment eine Menge beizusteuern hatte. »Du meinst also«, sagte er, »dieser Kubicki musste sterben, weil er ein Homo war.«
»Jedenfalls halte ich das für möglich.« Gräf räusperte sich. »Ich habe eine interessante Sache in den Akten gefunden. Vor einer Woche erst haben Stennes-Leute einen aus der neuen Berliner SA-Spitze bedroht. Karl Ernst, der Adjutant des Gausturms, saß mit ein paar Kameraden in einem Lokal in Halensee, wo Stennes-Anhänger sie aufmischen wollten. Bevor es so weit kommen konnte, hat ein Überfallkommando die Stennes-Leute einkassiert.«
»Und?«
»Einer von denen hat Ernst und dessen Freund Paul Röhrbein während seiner Festnahme übelst beschimpft. Das Wort Arschficker habe ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal in einem Polizeiprotokoll gelesen. Außerdem war von Puppenjungs die Rede und von schwulen Säuen .«
»Das klingt ziemlich homophob.«
»Richtig.« Gräf trank noch einen Schluck. »Ernst und Röhrbein sind beide homosexuell.«
Rath nickte nachdenklich.
»Aber das Interessanteste an der Akte war etwas anderes«, fuhr Gräf fort. »Unter den SA-Leuten, die sich in dem Laden aufhielten, war auch einer namens Gerhard Kubicki.«
Rath nickte. »Lass mich raten: Er war einer von denen, die als Arschficker beschimpft wurden.«
»So ist es.« Gräf trank ein paar Schlucke, dann war auch sein zweites Glas leer. »Ich habe Böhm vorgeschlagen, die Namen auf der Halensee-Liste abzuklappern, aber der will davon nichts wissen. Verspricht sich mehr davon, den Kommunisten weichzuklopfen.«
»Wusste gar nicht, dass Böhm so ein Kommunistenfresser ist.«
»Böhm frisst alles. Kommunisten, Nazis und kleine Kinder.«
»Am liebsten aber Kriminalbeamte.«
Gräf lachte. »Wenigstens darf ich morgen den Vorgesetzten unseres verstorbenen Rottenführers befragen. Mal schauen, wasdabei rauskommt.« Sein Blick fiel auf die Gläser vor ihnen auf dem Tresen. »Was ist los mit dir?«, fragte er. »Du bist schon ein Bier im Rückstand. Wenn du mich noch einholen willst, solltest du dich ranhalten.«
Der Kriminalsekretär machte Anstalten, eine neue Runde zu bestellen, doch Rath winkte ab. »Heute nicht«, sagte er und drückte die Zigarette aus, stieg von seinem Barhocker und griff nach seinem Hut. »Ich hab noch was vor.«
Gräf schaute auf die Uhr. »Um Viertel nach elf?«
Rath nickte. »Tut mir leid«, sagte er und legte fünf Mark auf den Tresen. »Dafür übernehme ich auch die Rechnung.«
Der Kriminalsekretär grinste. »Wie heißt sie denn?«
Rath zuckte die Achseln. »Das weiß ich noch nicht«, sagte er und freute sich über Gräfs verdutztes Gesicht.
51
E r parkte den Buick nicht direkt vor der Tür. Das Risiko, dass die Sitte den Laden eventuell überwachte und die ehemaligen Kollegen möglicherweise seine Autonummer notieren und ihn in Erklärungsnot bringen könnten, erschien ihm zu groß. Rath ließ den Wagen an der Weberwiese stehen und ging die Memeler Straße hinunter. Ein kleiner Fußmarsch tat ihm ganz gut. Seine Walther hatte er eingesteckt, in dieser Gegend bewegte er sich nur ungern ohne Waffe, vor allem nachts. Schließlich hatte er die Einmündung der Posener Straße erreicht, und die Gegend kam ihm bekannt vor, dunkel jedenfalls, und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Venuskeller . Rath hatte keine guten Erinnerungen an den Laden. Ein illegales Kellerlokal in der Nähe des alten Ostbahnhofs, versteckt im Hinterhof einer unscheinbaren Mietskaserne. Hier war seine erste Begegnung mit Johann Marlow eingefädelt worden, bei seinem ersten Besuch vor über zwei Jahren. Marlows Männer hatten Rath, den koksenden Polizisten, in eine Lagerhalle auf dem Ostbahnhof geführt, wo Doktor M. ihn empfangen hatte, der Anfang seiner unglückseligen Beziehung zu demGangster. Doch Rath machte Fortschritte: Diesmal war er sogar eingeladen.
Die Wachhunde standen schon auf der Straße Schmiere, doch sie ließen ihn passieren bis zu dem Haus, in dessen Hinterhof eine Kellertreppe zum Venuskeller hinabführte. Bevor Rath weitergehen konnte, trat ein Mann aus dem Schatten des Torbogens.
»Herr Rath, nehme ich an«, sagte er, und Rath nickte. Der Mann tippte an seinen Hut. »Sie werden bereits
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