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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Weihnachtsfest ihres Lebens, das sie nicht gefeiert hatte. Wie viele würden noch folgen, wie viele ungefeierte Weihnachtsfeste? Dass sie in der alten Achsenfabrik Weihnachten feierten, konnte sie sich jedenfalls nicht vorstellen.
    Eigentlich war es ein Witz, dass Beckmann hatte sterben müssen. Es gab keinen Grund dafür, keinen richtigen jedenfalls. Sie weinte diesem Nazi keine Träne nach, doch seinen Tod hatte sie nicht gewollt. Und trug dennoch die Schuld daran; ohne ihre blöde Idee wäre es niemals dazu gekommen. Ohne Alexandra Reinhold und ihre dämlichen Einfälle würde Heinrich Beckmann noch leben. Das reichte verdammt noch mal aus, um sich schuldig zu fühlen und sich zu schämen. Was für eine Schnapsidee, von geklautem Geld die Miete zu zahlen. Keiner hatte verstanden, dass sie nur helfen wollte, ihr Vater nicht, der sie rausgeworfen hatte, und ihr Bruder nicht, der geglaubt hatte, sie beschützen zu müssen. Er hatte einfach abgedrückt. Karl, dieser Idiot! Wie sie ihn vermisste.
    Helmut hatte als Einziger in der Familie sein Leben weiterführenkönnen. Weil er sich früh genug losgesagt hatte und seine eigenen Wege gegangen war. Gerade deshalb hatte Alex sich so vor ihm geschämt nach der Sache mit Beckmann. Erst jetzt, da ihre Verzweiflung größer war als ihre Scham, hatte sie sich ihm anvertrauen können. Und festgestellt, dass all ihre Bedenken überflüssig waren.
    Ohne ihren Bruder hätte sie die letzten Tage nicht überstanden.
    Sie wühlte in der Schublade des Küchentischs und fand, was sie suchte. Das Papier und den Stift, mit dem Martha Reinhold ihre Einkaufszettel schrieb.
    Alex setzte sich an den Tisch und dachte kurz nach. Dann wusste sie, was sie schreiben wollte, und der Bleistift kratzte über das Papier. Irgendwo draußen hupte ein Auto.
    57
    B ernhard Weiß verbrachte die Wochenenden meist nicht in Charlottenburg in seiner Dienstwohnung, sondern in seinem Haus in Dahlem. Rath verstand auch warum, als er in den baumbestandenen Bachstelzenweg einbog. Kein Problem, einen Parkplatz für den Buick zu finden; hier parkte man nicht am Straßenrand, sondern in Garagen. Vogelgezwitscher war das einzige Geräusch, das zu hören war, nachdem er den Motor ausgeschaltet hatte.
    Rath hatte die Fahrt nach Dahlem mit gemischten Gefühlen angetreten. Weiß war sein einziger Auftraggeber in Sachen Goldstein, und da der Vize sich auf einer Tagung in Breslau befand, hatte Rath den Samstag genutzt, um gemeinsam mit Hoteldetektiv Grunert das Verschwinden des Gangsters zu rekonstruieren. Das war ihnen auch leidlich gelungen. Raths Hoffnung jedoch, wieder auf Goldsteins Fährte zu kommen, bevor er sich Bernhard Weiß stellen musste, hatte sich zerschlagen. Der Ami blieb wie vom Erdboden verschluckt. Er konnte überall und nirgends in der Viermillionenstadt untergetaucht sein. Aber warum? Das war die Frage, die Rath sich die ganze Zeit stellte. Was hatte Goldstein getan? Oder noch vor zu tun?
    Heute Morgen war es dann passiert: Weiß hatte den Kommissar seines Vertrauens, der so jämmerlich versagt hatte, zum Rapport bestellt. Hätte Rath nicht immer noch auf einen versöhnlichen Anruf von Charly gehofft, wäre er wahrscheinlich gar nicht erst ans Telefon gegangen. So aber war er in die Falle getappt.
    Er öffnete das Gartentor und betrat das Grundstück, eine einzige grüne Oase. Direkt am Zaun stand ein Nussbaum, mitten auf dem Rasen Apfel- und Birnbäume.
    »Willst du zu Papa?«, fragte eine helle Stimme irgendwo aus den Bäumen.
    Rath schaute nach oben und erblickte eine Art Baumhaus in einer alten Buche. Ein Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt, schaute neugierig zu ihm hinunter.
    Rath nickte.
    »Bist du ein Verbrecher?«, fragte das Mädchen todernst.
    Rath musste lachen. »Ich glaube nicht«, sagte er. »Ich arbeite für deinen Papa.«
    »Dann bist du ein Polizist?«
    Rath nickte noch einmal.
    »Sie sehen, ich bin gut bewacht«, sagte eine tiefe Stimme. »An meiner Hilde kommt keiner ungesehen vorbei.«
    Doktor Bernhard Weiß stand vor dem Haus, in ungewohnt lässiger Pose. Er hatte die Hände in einer hellen Leinenhose vergraben, über seinem Hemd trug er eine dünne Strickweste. »Kommen Sie doch herein, Herr Kommissar«, sagte er. »Wir haben einiges zu besprechen.«
    »Das fürchte ich auch, Herr Doktor.«
    Im Haus nahm ein Dienstmädchen Hut und Mantel entgegen.
    »Wir möchten nicht gestört werden«, sagte Weiß und führte Rath in ein geräumiges Arbeitszimmer, das deutlich mehr

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