Goldstein
hermachte als Weiß’ Büro am Alex.
Sie nahmen in einer gepolsterten Sitzgruppe Platz, eine Kanne Kaffee und zwei Tassen standen auf dem Tisch, sogar etwas Gebäck. Rath wertete das als gutes Zeichen.
»Haben Sie schon etwas von der Fahndung gehört?«, fragte er seinen Chef.
Weiß schüttelte den Kopf. »Das war auch nicht zu erwarten. Wir haben noch nicht einmal ein Foto für die Kollegen. Und miteiner Personenbeschreibung allein finden Sie unter vier Millionen Menschen entweder keinen oder die falschen.«
Weiß schenkte seinem Besucher Kaffee ein. »Was haben Sie herausfinden können, Herr Kommissar?«, fragte er.
Rath räusperte sich. »Nach unseren bisherigen Erkenntnissen muss jemand aus dem Hotel dem Flüchtigen geholfen haben. Nur mittels Generalschlüssel konnte er unbemerkt von unseren Wachen über ein Nachbarzimmer und das Personaltreppenhaus nach draußen gelangen.«
Weiß nickte nachdenklich. »Daran hätten wir denken sollen.«
»Hätten wir alle Ausgänge des Hotels besetzen wollen, hätte ich mindestens sieben, acht Mann mehr gebraucht, aber da ...«
»Sie haben ja recht, ick mache Ihnen doch ooch keenen Vorwurf«, unterbrach ihn Weiß. Rath wunderte sich noch über das plötzliche Berlinern, da war der Vize auch schon wieder zum Hochdeutschen zurückgekehrt. »Sie haben Ihr Bestes getan.«
»Das will ich mal nicht hoffen, dass das mein Bestes war, Herr Doktor.«
»Sie haben um Verstärkung gebeten, die ich Ihnen nicht habe geben können«, sagte Weiß. »Die Idee, seine Zimmertür im Auge zu halten, war also angesichts der Umstände die sinnvollste Überwachungsmethode. Dass der Mann irgendwo an einen Generalschlüssel kommen würde, damit konnte doch niemand rechnen.«
Rath nickte.
»Eine Spur haben Sie noch nicht?«, fragte Weiß.
»Wir haben die Aussagen des Wäschereifahrers, der einem elegant gekleideten Mann mit zwei Koffern am Personalausgang begegnet ist und sich darüber schon gewundert hat. Wir haben ihn den Mann beschreiben lassen, trifft in etwa auf Goldstein zu. Demnach hat er das Hotel am frühen Freitagmorgen verlassen. Gegen sechs Uhr.«
»Also fast zwölf Stunden, bevor sein Verschwinden entdeckt wurde.«
»Richtig. Wir haben versucht, das Taxi zu finden, mit dem er möglicherweise gefahren ist – über die Innung der Vereinigten Kraftdroschkenbesitzer. Bislang vergeblich. Vielleicht hat er auch einfach die U-Bahn genommen. Das hat er schon mal gemacht, vor einer Woche, als er mich abhängen wollte.«
Weiß nickte. »Wissen Sie schon, wie er an den Generalschlüssel gekommen ist?«
Rath zuckte die Achseln. »Der Hoteldetektiv geht der Sache nach.«
»Tja«, sagte Weiß. »Das ist auch zweitrangig. Erst einmal müssen wir sehen, wie wir aus diesem Schlamassel wieder rauskommen. Bevor die Presse womöglich davon Wind bekommt, dass ein amerikanischer Gangster in unserer Stadt unterwegs ist.«
»Das heißt?«
Bernhard Weiß schaute ihn an mit ernstem Gesicht. »Das heißt: Finden Sie Goldstein. So schnell wie möglich.«
Rath musste die ganze Stadt durchqueren, um sein nächstes Ziel zu erreichen. Niederschönhausen. Wieder ein Villenviertel. Diesmal ging es allerdings nicht zu einem Polizeipräsidenten, sondern zu einem Unterweltkönig. Rath stieg aus und schaute sich um. Was machte er nur falsch in seinem Leben, dass er sich solche Häuser nie würde leisten können, weder als Gangster noch als Polizist? Vielleicht weil er beides und nichts davon richtig war.
Johann Marlow residierte in der Victoriastraße in einer beeindruckenden Villa – gerade weil sie nicht mit allen Mitteln darauf ausgelegt war, zu beeindrucken. Hier lungerten keine waffenstrotzenden Schlägertypen auf dem Grundstück herum, die Anwesenheit von Liang schien Marlow als Schutz vollauf zu genügen. Der Chinese war es dann auch, der Rath die Tür öffnete. Rath schaute sich um. Die moderne Einrichtung zeugte von deutlich mehr Geschmack als die spießig-neureiche im Haus von Hugo Lenz.
Sie durchquerten das ganze Haus, bis sie auf der Terrasse wieder ins Freie traten. Doktor M. stand im Garten, mit nacktem Oberkörper, und zielte mit Pfeil und Bogen auf eine große Zielscheibe, die am anderen Ende des weitläufigen Gartens stand. Der Mann war muskulöser, als Rath vermutet hatte. Er zielte ganz ruhig, ließ sich durch den Besucher nicht aus der Ruhe bringen, obwohl er ihn im Augenwinkel wahrgenommen haben musste, wie Rath glaubte. Schließlich ließ Marlow los, der Pfeil schnellte nach vorne
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