Goldstein
und zerschnitt die Luft, bevor er genau ins Schwarze traf.
»Alle Achtung«, sagte Rath.
Marlow ließ den Bogen sinken und drehte sich um. »Haben Sie sich schon mal im Bogenschießen geübt, Herr Kommissar?«, fragte er.
Rath schüttelte den Kopf.
»Das sollten Sie tun. Beruhigt ungemein.« Marlow grinste. »Und darüber hinaus«, sagte er, »ist es die perfekte Methode, um aus großer Entfernung lautlos zu töten.«
»Indianermethode«, meinte Rath. »Haben Sie das in den Staaten gelernt?«
»Da benutzt man heutzutage andere Waffen. Vornehmlich Thompson-Maschinenpistolen.«
»Sie kennen sich gut aus.«
»Was sollen diese Anspielungen? Ja, ich war schon mehrfach in den Staaten. Einmal in Chicago und zweimal in New York. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Sie kennen Abe Goldstein wirklich nicht? Haben nichts mit ihm zu tun?«
»Nein, verdammt! Was soll das?«
»Ich frage mich, warum Sie ihm dann zur Flucht aus seinem Hotel verholfen haben?«
»Wie bitte?«
» Sie haben das Zimmermädchen ins Excelsior geschleust, nicht wahr?«
»Herr Kommissar, sprechen Sie nicht in Rätseln. Sagen Sie mir, was los ist und was Sie von mir wissen wollen. Dann kann ich Ihnen vielleicht auch helfen.«
»Ist es nicht merkwürdig, dass eine Ihrer Mitarbeiterinnen, kurz bevor Goldstein in Berlin eintrifft, als Zimmermädchen in genau dem Hotel anfängt, in dem der Mann absteigt? Sollte sie ihn nur im Auge halten? Oder ging es von Anfang an darum, ihn der lästigen Polizeiüberwachung zu entziehen?«
»Mitarbeiterin? Von wem reden Sie?«
»Bosetzky. Marion Bosetzky. Tänzerin im Venuskeller .«
»Marion? Die arbeitet schon lange nicht mehr für uns. Sebald hat sie irgendwann vor die Tür gesetzt.«
»Warum das?«
»Ein kleines Loyalitätsproblem. Sie hat nebenbei für einen anderen Arbeitgeber gearbeitet, das konnten wir nicht tolerieren.«Marlow machte eine Pause, er schien nachzudenken. »Vielleicht sollten sie bei dem mal nachhören, vielleicht hat der sie ins Hotel eingeschleust.«
»Gerne. Wenn Sie mir freundlicherweise sagen, um welchen mysteriösen Arbeitgeber es sich handelt.«
»Ein sehr mysteriöser Arbeitgeber, Herr Kommissar!« Marlow lachte laut. »Ihre Kollegen. Das heißt: Ihre ehemaligen Kollegen. Sie wissen schon: die Inspektion E.«
58
S eit Ewigkeiten hatte Rath diesen langgestreckten Korridor nicht mehr betreten, schon gar nicht so früh morgens. Er begegnete nur wenigen Kollegen und keinem einzigen, den er kannte. Die Beamten, mit denen er im Sittendezernat am engsten zusammengearbeitet hatte, waren beide tot, und mit den anderen hatte er nicht viel zu schaffen gehabt. Kein Wunder, er hatte nicht einmal zwei Monate bei der Sitte gearbeitet, und diese zwei Monate lagen schon ein paar Jahre zurück.
Beim Inspektionsleiter allerdings schien er einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.
»Kommissar Rath«, sagte Werner Lanke und stand auf, um Rath die Hand zu geben. »Welch eine Überraschung! So früh waren Sie seinerzeit nie im Präsidium.« Der Kriminalrat deutete auf Kirie. »Wusste gar nicht, dass Sie auf den Hund gekommen sind.«
Werner Lanke lachte über seinen Witz, und Kirie wedelte mit dem Schwanz, weil sie zu merken schien, dass man über sie sprach. Rath verzog sein Gesicht zu einem wohlwollenden Grinsen. Er war der Bittsteller, er musste freundlich sein. Auch wenn er und der Chef des Sittendezernats sich in gegenseitiger Abneigung verbunden waren. Der Kriminalrat hatte seinen Spitznamen der krumme Lanke redlich verdient. Der Mann ging so weit nach vorne gebeugt, dass aus den amtlichen ein Meter neunundachtzig, die in seinem Dienstausweis als Körpergröße vermerkt waren, höchstens einsachtzig wurden. Diese Körperhaltung gab dem Mann etwasGeierhaftes, ein Eindruck, der durch die markante Nase und die stechenden Augen, die meist über eine Lesebrille schielten, noch verstärkt wurde.
»Gut, dass ich Sie antreffe, Herr Kriminalrat«, sagte Rath.
»Ich weiß nicht, ob das so gut ist. Ich bin in Eile. Bin verabredet.«
»Nur zwei Minuten.«
»Na schön.« Lanke setzte sich wieder. »Was verschafft mir denn die Ehre Ihres Besuchs?«
»Ich suche eine Zeugin ...«
»Und die hoffen Sie in meinem Büro zu finden? Wenn Sie Fräulein Lübbe meinen – die ist noch nicht hier.«
Jutta Lübbe war Lankes Sekretärin. Raths Vorräte an pflichtbewusstem Lächeln gingen langsam zur Neige. »Die Dame heißt Marion Bosetzky«, sagte er, »und ist vor zwei Jahren auf der Informantenliste der
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