Goldstein
stand wie eine Mauer, und noch weniger sein Unverständnis für sie und ihre Situation, für ihre verzweifelte Suche nach diesem Mädchen. Das war nicht unbedingt ein Grund, ihn so zu behandeln, natürlich nicht, und sie hätte ihn deswegen vielleicht sogar irgendwann um Verzeihung gebeten. Aber gab ihm das ein Recht, tags darauf in ihrer Wohnung aufzukreuzen und einen guten Freund blutig zu schlagen? Was bildete er sich eigentlich ein? Dass alle Welt nur auf die Eifersuchtseskapaden eines Gereon Rath wartete?
Sie hatte die Rosen auf dem Dielenboden gesehen und sich ihren Teil zusammengereimt, die Blumen hatten sie für einen winzigen Moment sogar weich gemacht. Aber dann hatte sie gesehen,wie er Guido zugerichtet hatte. Seitdem ging Gereon ihr aus dem Weg. Was hätte sie mit ihm gemacht, wenn er einfach so vor ihrer Tür gestanden hätte, womöglich mit einem zweiten Strauß Rosen? Hätte sie die Blumen zur Abwechslung mal ihm um die Ohren geschlagen?
Charly schaute auf die Uhr. Heymann ließ sie warten. Und das jetzt, wo sie sich entschieden hatte und darauf brannte, ihm ihre Entscheidung mitzuteilen.
Heute war auf den Gängen alles ruhig, unten in der Halle nichts mehr von den Feindseligkeiten zu spüren, die vor einer Woche noch zu blutigen Nasen und übleren Verletzungen geführt hatten. Solche Szenen an der Universität, das hätte sie nie für möglich gehalten. Bis sie es selbst erlebt hatte.
Sie starrte auf die Tür zu Heymanns Büro. Na ja, sie konnte warten, Zeit hatte sie genug. Seit sie sich entschlossen hatte, Webers Beurlaubung zu akzeptieren, fühlte sie sich richtig frei. Nach Guidos Besuch verspürte sie ohnehin wenig Lust, noch einmal nach Lichtenberg zurückzukehren, in Webers miefiges Büro, zu diesen Männern, die sich Kollegen schimpften und die sie doch nie als ihresgleichen akzeptiert hatten.
Ohne einen starken Mentor, das merkte sie immer mehr, konnte man sich als Frau in Justitias Diensten nur schwer behaupten. Und hatte man einen Mentor, sah man sich gleich dem schlüpfrigen Verdacht ausgesetzt, dem Mann auch in anderer Hinsicht zu Diensten zu sein. In der Burg hatte sie derartige Probleme nicht gekannt. Böhm hatte sie gefördert, nach Kräften sogar, und niemand hatte sich darüber das Maul zerrissen. Auch Gennat hatte ihre Arbeit zu schätzen gewusst, beides Männer, auf deren Urteil sie Wert legte. Was die übrigen Kollegen von ihr hielten, war ihr gleichgültig, auch was Gereon von ihr dachte. Sollte der doch glauben, sie verbeiße sich in Dinge, die es nicht wert waren. Sie zeige zu viel Mitgefühl. Sie sei nicht geeignet für diesen Beruf. Hatte er das nicht gemeint? Pah!
Schon wieder waren ihre Gedanken bei ihm gelandet! Gab es verdammt noch mal keine anderen Männer, an die sie denken konnte?
Endlich. Heymanns Büro öffnete sich, und ein Student kam heraus, einige Jahre jünger als sie, noch grün hinter den Ohren,aber schon einen frisch verheilten Schmiss im Gesicht, den er stolz spazieren trug. Er warf ihr einen derart arroganten Blick zu, dass Charly sogar vergaß zu grüßen. Gute Nacht, Deutschland, dachte sie nur, als sie ihn den Gang hinunterstolzieren sah, dieses magere Bürschchen, das sich offensichtlich für die Krone der Schöpfung hielt. Gute Nacht, das sind also die Leute, die den Rechtsstaat künftig vertreten werden! Letzte Woche hatte der Kerl im Schutz seiner Kumpane wahrscheinlich noch auf Kommunisten und Juden eingeprügelt und auf Kommilitonen, die er für Kommunisten oder Juden hielt. Und nun brav gescheitelt beim Professor vorsprechen, geflissentlich ignorierend, dass Heymann mosaischen Glaubens war, solange es der eigenen Karriere diente. Charly stand auf, klopfte an die Tür und ging hinein. Heymann saß an seinem Schreibtisch.
»Guten Tag, Fräulein Ritter«, sagte er, »entschuldigen Sie, das Gespräch gerade hat etwas länger gedauert. Nehmen Sie doch Platz.«
Sie setzte sich. »Danke.«
Heymann machte ein paar Notizen, und Charly betrachtete das Hindenburg-Porträt über seinem Schreibtisch. Das Bild erinnerte sie ans Polizeipräsidium, wo das Konterfei des Reichspräsidenten in jeder Amtsstube hing. Nur dass so etwas an der Universität nicht üblich war und Heymann seinen Hindenburg freiwillig aufgehängt hatte. Der Professor war mehrfach ausgezeichneter Kriegsteilnehmer und ein großer Verehrer des Generalfeldmarschalls. Ansonsten aber ein wirklich netter Kerl und eine absolute Autorität auf seinem Gebiet. Vielleicht kein
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