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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Straße öffnete sich zu einem großen Platz rechter Hand, über dem das düstere Steingebirge des Amtsgerichts Wedding thronte. Rath fuhr rechts ran und betrachtete die humorlose neugotische Fassade, als könne sie ihm etwas erzählen. Er versuchte, sich Abraham Goldstein in diesem Gebäude vorzustellen, aber was sollte ein amerikanischer Verbrecher in einem deutschen Gericht zu erledigen haben? Einen deutschen Verbrecher umbringen? Oder einen Richter? Rath machte ein paar Notizen, unter die er drei große Fragezeichen malte; dann klappte er das Notizbuch zu und fuhr weiter. In der Kösliner Straße hielt er ebenfalls kurz an und warf einen Blick auf die Rote Laterne, die bereits geöffnet hatte. Er ließ den Motor laufen. Nein, das war es auch nicht; die Kneipe hatte Goldstein seinerzeit nur angesteuert, um seinen lästigen Verfolger abzuhängen – und um ein paar Freiwillige zu rekrutieren, die Spaß daran fanden, einen Buick zu demolieren. Ein paar neugierige Gesichter schauten durch die Wagenfenster, das hier war eine rote Hochburg, in der die Kommunisten der Polizei vor gut zwei Jahren sogar einmal Barrikadenkämpfe geliefert hatten, hier machte man sich schnell verdächtig, wenn man in einem zu teuren Wagen parkte, ja, wennman überhaupt in einem Auto kam und nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Rath legte den Gang wieder ein, bog am Ende der armseligen Straße rechts ab, fuhr eine Weile parallel zum Ufer der Panke, die sich hinter dichten Büschen und Bäumen versteckte, über denen irgendwann auch die Rückfront des Amtsgerichts wieder auftauchte. Schließlich erreichte er die lange Mauer eines Straßenbahndepots, der er folgte, bis er wieder an der vielbefahrenen Badstraße stand.
    Und dann, noch während er überlegte wohin, wusste er, dass er es gefunden hatte. Schon als er das große Hinweisschild an der Einmündung der Exerzierstraße las.
    Jüdisches Krankenhaus
    Rath folgte dem Schild und bog scharf links in die Exerzierstraße, eine kleine Wohnstraße, auf der so gut wie kein Verkehr herrschte. Nur eine Straßenbahn rumpelte über das Pflaster, und Rath hielt sich hinter ihr, bis auf der rechten Straßenseite ein dreistöckiges Gebäude auftauchte, das ihn eher an eine Schule als an ein Hospital erinnerte. Aber das Schild am Zaun und die in den Tympanon gemeißelte Schrift ließ keinen Zweifel daran, dass es eines war: Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde war dort zu lesen . Er parkte den Buick unter einem Baum und suchte im Handschuhfach nach der Fahndungszeichnung. Bevor er sie einsteckte, faltete er sie noch einmal auseinander und schaute sich das Gesicht an. War eigentlich ganz gut getroffen. Sollte Abraham Goldstein irgendwann in den letzten Tagen tatsächlich hier aufgetaucht sein, dann würde ihn anhand dieser Zeichnung auch jemand erkennen.
    Rath lief die paar Schritte zum Krankenhaus zurück. Das Gebäude an der Exerzierstraße war nur ein Teil des Komplexes, das weitaus größere Bettenhaus erhob sich dahinter. Der Eingang lag an der Schulstraße. Rath blieb davor stehen, einen Moment unschlüssig, ob er wirklich hineingehen sollte. Lief er nicht Gefahr, sich lächerlich zu machen?
    Er hatte sich gerade entschlossen, das Gelände zu betreten, da hielt ihn ein lauter, überraschter Ruf zurück.
    »Herr Kommissar?«
    Rath drehte sich um. Auf der anderen Seite der Straße stand jemand im Schatten eines Baumes. Sebastian Tornow, der Schupo-Leutnant, der nun bei der Kripo als Kommissar angelernt wurde. InZivil hätte Rath den Mann beinahe nicht wiedererkannt. Er ging hinüber.
    Tornow musterte ihn neugierig. »Was machen Sie denn hier?«, fragte er.
    »Das Gleiche könnte ich Sie fragen«, sagte Rath und klang schnippischer, als er wollte. Irgendwie fühlte er sich ertappt, obwohl er sich nichts vorzuwerfen hatte. Außer dass er mal wieder allein unterwegs war. »Das ist ja ein Zufall!«
    »Ich arbeite doch jetzt bei der Fahndung. Wir haben einen Tipp bekommen.« Tornow deutete auf das Krankenhaus. »Abraham Goldstein. Angeblich soll er hier gesehen worden sein.«
    Der Kommissaranwärter machte keinen wirklich aufgeregten Eindruck, als er das sagte, und auch keinen engagierten. Kein Wunder, bei den vielen Falschmeldungen, denen die Fahnder in diesem Fall schon hatten nachgehen müssen. Doch war dies hier auch eine Falschmeldung? Rath merkte, wie ihn das Fieber packte, spürte das Kribbeln in seinen Adern, wie immer, wenn er sich auf der richtigen Fährte wähnte oder einen neuen Zusammenhang

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