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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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entdeckte.
    »Na, vielleicht sind Sie diesmal nicht auf dem Holzweg«, meinte er. »Ich habe ebenfalls Anhaltspunkte, dass Goldstein sich hier aufgehalten haben könnte.«
    Tornows Miene zeigte ungläubige Überraschung, dann hellte sie sich auf. »Ach«, sagte er. »Dann könnten wir ja zusammen reingehen, oder?«
    Rath nickte.
    »Für mich wäre das dann schon die fünfte falsche Fährte heute«, sagte Tornow. »Und bei Ihnen?«
    Rath lachte. »Ganz so spannend, wie Sie dachten, ist die Arbeit bei der Kripo dann wohl doch nicht, was?«
    »Was will man machen?« Tornow zuckte die Achseln. »Lehrjahre sind keine Herrenjahre.«
    »Lassen Sie mich raten – das hat Kilian gesagt.«
    »Alle Achtung! Sie scheinen die Kollegen gut zu kennen.« Tornow zog anerkennend die Augenbrauen hoch. »Beizeiten müssen Sie mir über den ein oder anderen mal etwas mehr erzählen.« Er drehte seinen Kopf in Richtung Badstraße. »Da hinten gibt es ein paar ganz nette Cafés. Wie wär’s?«
    »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«, sagte Rath. »Diesen schlauen Satz müsste Oberkommissar Kilian Ihnen doch auch schon nahegebracht haben, oder gab’s dafür bislang keine Gelegenheit?«
    »Mangels Arbeit oder mangels Vergnügen?«
    Rath lachte. Er deutete auf den Krankenhauskomplex. »Kommen Sie! Lassen Sie uns erst dort drinnen unsere Fragen stellen, uns womöglich lächerlich machen, und nach getaner Arbeit lade ich Sie auf einen Kaffee ein. Wie wär’s damit?«
    Tornow grinste. »Zu Befehl, Herr Kommissar.«
    Sie überquerten die Straße. Rath betrachtete den Kommissaranwärter aus dem Augenwinkel. Einen Mann wie den Ex-Schupo könnten sie in der Mordinspektion gut gebrauchen, dachte er, der wäre eine gute Verstärkung für seine Truppe, dafür würde er jemanden wie Paul Czerwinski, der jetzt schon auf seine Pensionierung wartete, gerne hergeben. Warum eigentlich wurde so jemand wie Sebastian Tornow als Kommissaranwärter ausgerechnet Oberkommissar Kilian zugeteilt?
    Obwohl er förmlich damit rechnete, dass sie hier auf eine Spur stoßen würden, war Rath dennoch überrascht, als sie dem Pförtner ihre Polizeiausweise und das Fahndungsporträt an die Glasscheibe hielten, und der Mann nickte, kaum hatte er das Bild gesehen.
    »Ja, der war hier«, sagte der Pförtner. »Vor ein paar Tagen erst. Mit einem Blumenstrauß.«
    »Hat er jemanden besucht?«, fragte Rath.
    Der Pförtner hob die Schultern. »Vermute ick mal. Hat nach jemandem gefragt.«
    »Wissen Sie noch, nach wem?«
    »Nach Herrn Goldstein, jloobe ick.«
    »Goldstein?«, sagte Rath und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was dieser Name bei ihm auslöste. Er nickte Tornow unmerklich zu. Volltreffer! »Sie haben einen Patienten dieses Namens?«
    »Ja«, sagte der Pförtner und schaute in eine lange Liste. »Jakob Goldstein. Liegt oben im Ersten. Zimmer einhundertzwei.«
    »Danke«, sagte Rath. »Wissen Sie noch, wann das war, dieser Besuch?«
    »Mittwoch oder Donnerstag, würd ick ma saaren. Zur Besuchszeit am Nachmittag jedenfalls. Jenauer weeß ick nich. Nur dass der Mann nicht der Einzije war mit ’nem Blumenstrauß.«
    »War der Mann danach noch einmal hier?«, fragte Rath und drückte die Zeichnung erneut ans Glas der Pförtnerloge.
    »Nicht, dass ich wüsste.« Der Pförtner zuckte die Achseln. »Jedenfalls nicht, als ick Dienst hatte.«
    »Wir würden Herrn Goldstein auf Zimmer einhundertzwei gern besuchen. Ist das möglich? Ich meine: jetzt?«
    63
    D er alte Mann hatte Schmerzen, das war offensichtlich. Die Haut in seinem Gesicht schien noch dünner, noch durchsichtiger geworden zu sein. Auf dem Nachttisch standen frische Blumen, wieder ein neuer Strauß, doch auch der begann bereits zu welken. Genau wie der alte Mann einfach dahinzuwelken schien, unaufhaltsam. Alles in diesem Zimmer roch bereits nach Tod und Abschied.
    In seinen Träumen hatte Abraham Goldstein sich seinen Großvater, den er nur aus den Erzählungen des Vaters kannte, immer mit Bart vorgestellt, mit einem langen, weißen Bart, so wie die alten Männer in Williamsburg. Und natürlich mit Schläfenlocken – eine ältere Ausgabe von Nathan Goldstein sozusagen. Doch Jakob Goldstein war ebenso wenig ein Schwarzhut wie sein Enkel Abraham. Sonst hätte er den Enkel aus Amerika wohl auch niemals um solch einen Gefallen gebeten.
    Abe schaute seinen Großvater an, und wieder war es, als würde er in einen Spiegel schauen: Abraham Goldstein, gut fünfzig Jahre älter. Kein Bart, keine Schläfenlocken,

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