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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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wäre, hätten wir ihn schon längst beerdigt. Oder würden wenigstens hier zuhause über ihn wachen können. Warum haben Sie ihn überhaupt dorthin gebracht?«
    »Deswegen sind wir doch hier, ich und mein Kollege. Um genau darüber zu reden.« Rath gab sich keine Mühe mehr, seine Gereiztheit zu verbergen. »Wir wollen nach Möglichkeit ausschließen, dass Jakob Goldstein eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Deswegen lassen wir die Leiche untersuchen.«
    »Das ist einfach ungeheuerlich!«
    Flegenheimer war aufgesprungen.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte Rath. »Keine Obduktion. Ich habe mit der Gerichtsmedizin telefoniert, dass Ihrem Schwiegervater nur ein wenig Blut zu Untersuchungszwecken abgenommen wird.«
    »Wie kommen Sie darauf, er könne eines unnatürlichen Todes gestorben sein? Mein Schwiegervater war todkrank.«
    »Es hat uns nur gewundert, dass er genau in jenem Moment gestorben ist, da Ihr Neffe Abraham Goldstein in seinem Zimmer war.«
    »Reden Sie doch keinen Unsinn! Mein Neffe hätte uns längst besucht, wäre er in der Stadt.«
    Rath faltete den Zeitungsartikel auseinander. Das Ehepaar Flegenheimer überflog den Artikel und zeigte sich entsetzt.
    »Das soll er getan haben?« Lea Flegenheimer schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein.«
    »Kennen Sie ihn so gut, um das sagen zu können? Ich dachte, Sie haben ihn noch nie gesehen.«
    »Ich kenne meinen Bruder ... ich kannte ihn. Dass das da ...« Sie klopfte auf die Zeitung. »Dass dieser Mensch sein Sohn sein soll, kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Es ist aber so, Frau Flegenheimer«, sagte Rath. »Ich habe IhrenNeffen selbst gesehen. Ob er für den Tod dieses SA-Mannes verantwortlich ist, muss sich noch zeigen. Aber dass Abraham Goldstein in den USA von der Polizei beobachtet wird, weil er unter mehrfachem Mordverdacht steht, das ist unzweifelhaft.«
    »Und was hat das alles mit der Leiche meines Schwiegervaters zu tun?«
    »Eine reine Routinemaßnahme«, sagte Rath. »Wenn an den Todesumständen irgendetwas seltsam anmutet, dann muss der Staatsanwalt so handeln. Aber die juristischen Hintergründe haben Sie doch schon mit Ihrem Schwager besprochen, wenn ich richtig informiert bin.«
    Rath bereitete den geordneten Rückzug vor. Hier war nichts zu holen; es zeichnete sich ab, dass auch dieser Besuch zwecklos war. Die Schwestern Goldstein hatten mit Sicherheit keine Ahnung, wo ihr Neffe war, sie wussten nicht einmal, wer er war.
    Er stand auf. Tornow, der bislang keinen einzigen Ton gesagt hatte außer »Guten Tag«, tat es ihm gleich. Rath reichte Lea Flegenheimer seine Karte. »Wenn Ihr Neffe sich doch noch bei Ihnen melden sollte, unterrichten Sie mich bitte.«
    Die Frau nickte, doch sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein.
    »Ich hoffe, Sie sorgen dafür, dass mein Schwiegervater bald bestattet werden kann«, sagte Ariel Flegenheimer. »Die Aninut sollte nicht unnötig in die Länge gezogen werden.«
    »Die was?«
    »Die Trauerzeit zwischen Tod und Beerdigung.«
    Rath zuckte die Achseln. »Die Entscheidung trifft letztendlich der Staatsanwalt«, sagte er. »Aber ich verspreche Ihnen, ich informiere Sie, wenn es so weit ist.«
    Rath nahm seinen Hut und ging zur Tür. Am Bücherregal blieb er stehen. Vor den Torabüchern stand eine kleine Blechbüchse mit einem Einwurfschlitz oben, eine Art Spardose. »Was ist das?«, fragte er.
    »Das? Das ist unsere Zedakabüchse«, erklärte Flegenheimer. »Wenn Sie wollen, werfen Sie ein paar Münzen hinein, geben Sie Zedaka.«
    »Wie?«
    »Eine Spende. Nicht für uns. Wir sammeln für einen wohltätigen Zweck. Jeden Tag legen wir etwas von dem Kleingeld hinein, das sonst nur das Portemonnaie beschwert.«
    Rath überlegte einen Moment und zückte dann seine Geldbörse. Die Idee gefiel ihm. Er fand ein paar Groschen Wechselgeld, die er in die Büchse klimpern ließ. Tornow ließ sein Geld stecken. Rath konnte es ihm nicht verdenken. So dicke hatte es ein Polizeileutnant nicht, der gerade erst bei der Kripo anfing.
    »Komische Leute«, sagte der Kommissaranwärter, nachdem sie die Wohnung wieder verlassen hatten. »Dass die sich nicht ein bisschen anpassen können, wenn sie schon nach Deutschland kommen.«
    »Die Flegenheimers leben schon seit Generationen in Deutschland, das sind Preußen durch und durch«, meinte Rath. »Die Goldsteins sind die Zugezogenen aus dem Osten.«
    »Und warum läuft der dann noch immer so herum, als sei er erst gestern aus Polen gekommen?«
    Rath zuckte die Schultern.

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