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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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»Jeder Jeck ist anders«, sagte er.
    »Wer ist anders?«
    Als Rath Tornows fragenden Blick sah, musste er lachen. »Jeder Jeck «, sagte er. »Das ist ein Kölsches Sprichwort und bedeutet sinngemäß, dass jeder nach seiner Façon selig werden kann.«
    »In der Formulierung kommt mir das schon bekannter vor«, meinte Tornow, »das hat der Alte Fritz gesagt, nicht wahr?«
    »Jedenfalls einer von euch Preußen.«
    Tornow schien es nicht so witzig zu finden, als Preuße mit Ariel Flegenheimer in einen Topf geworfen zu werden. Vielleicht mochte er den Alten Fritz auch nicht. Jedenfalls schwieg er und verzog keine Miene.
    Sein Schweigen endete erst, als sie längst wieder im Buick saßen.
    »Wohin geht’s denn jetzt?«, fragte er, als Rath am Potsdamer Platz nicht den Weg zum Alex einschlug, sondern über die Friedrich-Ebert-Straße nach Norden fuhr.
    »Hannoversche Straße«, meinte Rath. »Dann sind wir mit dem Thema durch bis zur Mittagspause.«
    Joseph Flegenheimer war schon von Weitem zu erkennen, er war gekleidet wie sein Vater, was in der Gerichtsmedizin, wo die meisten Mitarbeiter in Weiß herumliefen, doch sehr auffiel. Der Mann war noch keine dreißig, trug aber einen Vollbart wie Methusalem. Über den schwarzen Kaftan hatte er einen Gebetsschal geworfen und wippte mit dem Oberkörper hin und her, als sei er in einer Synagoge und nicht im Vorraum der Gerichtsmedizin. Er schien die Religion noch ernster zu nehmen als sein Vater. Rath musste an Abraham Goldstein denken und konnte sich kaum vorstellen, dass diese beiden Männer miteinander verwandt waren. Cousins! Doch dann kam ihm sein eigener Cousin Martin in den Sinn, der Sohn von Tante Lisbeth. Der hatte auch den ganzen Tag nur gebetet, hatte einen eigenen kleinen Altar in seinem Zimmer unter dem obligatorischen düsteren Kruzifix aufgebaut und war mit achtzehn ins Kloster gegangen. Vielleicht auch Priester geworden. Rath wusste das nicht mehr so genau; die Familie seiner Tante hatte er gemieden, seit er selbst darüber bestimmen konnte, wen er besuchte und wen nicht. Jedenfalls hatte er mit seinem Cousin Martin nie richtig spielen können. Reden genauso wenig.
    Doktor Schwartz, den eigentlich so schnell nichts erschüttern konnte, schien ein angegriffenes Nervenkostüm zu haben. Jedenfalls wirkte er nicht ganz so souverän wie sonst, eher ein bisschen müde, als er sie begrüßte. Rath stellte seinen neuen Kollegen vor, und der Gerichtsmediziner schüttelte Tornow die Hand. »Kommissaranwärter, und dann gleich in die Mordinspektion! Gratuliere! Dann haben Sie hoffentlich einen stabilen Magen.«
    »Wir werden sehen«, meinte Tornow, den das offenbar unbeeindruckt ließ. Er deutete auf den betenden Juden. »Sie haben Gesellschaft?«
    Schwartz lächelte ein gequältes Lächeln. »Ja, wir Juden können manchmal eine richtige Plage sein, was? In Sachen Sturköpfigkeit macht uns so schnell keiner was vor.« Er führte die beiden Polizisten in den Obduktionssaal. »Heute Morgen, als ich zum Dienst erschien, war er schon da. Der Pförtner sagt, er habe sich nicht abwimmeln lassen, wollte so nah wie möglich bei seinem Großvater sein.« Der Gerichtsmediziner zuckte die Achseln. »Ich konnte den jungen Mann nicht bewegen, sich in die Kantine der Charité zu setzen oder in irgendein nettes Lokal hier in der Nähe, um sich die Wartezeit zu erleichtern. Er hat partout darauf bestanden, hierzubleiben und zu beten.«
    »Haben Sie die Leiche denn schon untersucht?«, fragte Rath. »Es wäre mir lieb, wenn wir sie so schnell wie möglich wieder freigeben könnten.«
    »Die Untersuchung ist abgeschlossen«, sagte Schwartz und führte sie zu einer Bahre, auf der eine zugedeckte Leiche lag. »Hier liegt er. Aber die Freigabe hängt nicht von mir ab, sondern vom Staatsanwalt.«
    »Vielleicht haben wir in diesem Fall etwas überreagiert. Nur weil er Besuch hatte, kurz bevor er gestorben ist. Besser, wir hätten ihn gar nicht erst zu Ihnen gebracht.«
    »Sagen Sie das nicht«, meinte Schwartz, »wenn Sie mich fragen, sollten Obduktionen noch viel häufiger angeordnet werden, als das bei uns üblich ist. Allerdings bräuchten wir dann hier auch mehr Leute, und das will kein Mensch bezahlen. Die meisten Mörder jedenfalls, das ist meine erklärte Meinung, kommen nur deswegen davon, weil niemand ihre Tat für einen Mord hält.«
    »Und wie ist das in diesem Fall?«
    »Schwer zu sagen. Mord würde ich das jedenfalls nicht nennen.« Er machte eine nachdenkliche Pause. »Für diesen

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