Goldstein
anzuhören, und ob die Wertheim-Spur überhaupt etwas brachte, das stand ohnehin in den Sternen.
Da kam der nächste Kandidat die Straße hinunter. Er fuhr auf einem Fahrrad und bremste rasant vor der Einfahrt. Charly ging hinüber und wagte es noch einmal, diesmal darauf gefasst, eine schlagfertige Antwort geben zu müssen.
»Erich Rambow?«, fragte sie.
»Wer will’n det wissen?«
Das klang weniger feindselig als misstrauisch. Für einen Fleischersah der junge Mann zwar etwas mager aus, aber seine Gesichtsfarbe hatte die von leicht erhöhtem Blutdruck zeugende Röte des Fleischfressers.
»Ich bin eine Freundin von Alexandra Reinhold«, sagte Charly.
Rambow stieg vom Rad und schob mit dem Drahtesel dem Tor entgegen. »Soso«, sagte er, immer noch misstrauisch. »Und wat woll’n Se da von mir?«
»Ich suche Alex. Sie sind doch mit ihr befreundet, oder?«
»Befreundet? Ick hab ihr schon ewich nich jesehn. Da fraaren Se den Falschen. Die is doch uff Trebe, oder? Un jetz lassen Se mir bitte durch! Ick muss zur Maloche un bin spät dran!«
Erich Rambow ließ Charly einfach stehen, wedelte vor dem Pförtner mit seiner Stempelkarte und schob an dem Uniformierten vorbei aufs Betriebsgelände. Neben der Treppe zur Verladerampe blitzten schon unzählige Fahrräder in der Sonne, er stellte seines dazu und sprang die Treppe zur Rampe hoch. Trotz seiner Eile blieb er oben einen Moment stehen und drehte sich noch einmal um, die Hände schon auf die Klinke der Metalltür gelegt, die ins Gebäude führte. Seine Augen suchten Charly hinter den Gitterstäben des Zauns und fanden sie auch. Er fühlte sich unbeobachtet und taxierte sie ungeniert, was Charly, die Rambow bereits den Rücken zugekehrt hatte, in ihrem kleinen Schminkspiegel gut erkennen konnte. Sein Blick ruhte noch eine ganze Weile auf ihr, dann verschwand der dünne Fleischergeselle im riesigen Wertheim-Gebäude.
Charly wartete einen Moment, dann ging sie noch einmal zu dem sturen Pförtner hinüber.
»Für Unbefugte kein Zutritt«, fing der wieder an, bevor sie überhaupt etwas sagen konnte.
»Ich will keinen Zutritt, ich will eine Auskunft«, meinte Charly und freute sich über das verdutzte Gesicht des Mannes. »Wann machen denn die Leute in der Fleischerei so normalerweise Feierabend?«
Diesmal zeigte sich der Pförtner zugänglicher. Wahrscheinlich war er froh, die lästige Nervensäge endlich loszuwerden.
69
M argot Kohn fiel aus allen Wolken. Ihr Neffe Abraham in Berlin, der Sohn ihres Bruders? Davon wisse sie nichts. Und dass Nathans Junge ein Gangster sein sollte, ein Mörder noch dazu, das konnte sie nun überhaupt nicht glauben. »Mein Bruder hat einen Textilhandel aufgebaut in Amerika, dort führt Abraham die Geschäfte. Seit Jahren schon.« Sie schaute empört. »Wenn so jemand für Sie ein Gangster ist! Ein unbescholtener Textilhändler!«
»Ihr Bruder hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen?«, fragte Rath, bemüht, die Wogen zu glätten.
»Mein Bruder ist tot.«
»Das tut mir leid, das wusste ich nicht.«
Das Gespräch mit Margot Kohn stand unter keinem guten Stern, von Anfang an nicht. Alles andere als das schulmäßige Paradebeispiel einer gelungenen Vernehmung. Rath warf einen Seitenblick zu Tornow, doch dem Kommissaranwärter war keinerlei Regung anzumerken. Glücklicherweise platzte das Dienstmädchen in das peinliche Schweigen und brachte ein Tablett mit Tee und Gebäck.
Rath und Tornow saßen in einem eleganten Salon, ein wenig altmodisch vielleicht, aber gleichwohl stilsicher eingerichtet. Margot Kohn, geborene Goldstein, wohnte mit ihrer Familie im Schatten der Siegessäule, keinen Steinwurf vom Reichstag entfernt, nur wenige Häuser neben dem Reichsinnenministerium. Die Straße In den Zelten hatte sich in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr von einem Vergnügungsviertel zu einer exklusiven Adresse entwickelt, vor allem da, wo sie ans Alsenviertel grenzte, das von Diplomaten und Politikern dominiert wurde. Rath schaute aus dem Fenster, durch das man hinter einigen Bäumen das Steingebirge der Krolloper erkennen konnte und einen graublauen Himmel, während das Mädchen das Teegeschirr verteilte und nach einem Wink der Hausherrin wieder verschwand. Margot Kohn schenkte ihren ungebetenen Gästen höchstselbst ein. Rath gab ein wenig Zucker in seinen Tee und warf Tornow einen kurzen Blick zu. Der Kommissaranwärter verstand. Zeit für einen Wechsel.
»Wann haben Sie Ihren Vater denn das letzte Mal
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