Goldstein
verdanken hatte. Kuschke war mit einem Eimer Wasser und einer Wurzelbürste bewaffnet und trug eine hölzerne Stehleiter. Die Leiter klappte er genau vor der Wandmalerei auseinander, kletterte mit dem Eimer und der Bürste nach oben und begann zu schrubben. Er fing vorne an, mit dem Wort RACHE .
Charly schaute sich das Schauspiel in aller Ruhe an. Sie begann, ihre Observierung sogar ein wenig zu genießen. Erst einmal war es immer nett, anderen bei der Arbeit zuzuschauen, aber in diesem Fall war es das ganz besonders, weil sie ahnte, dass es die Handschrift von Alex war, die Kuschke da beseitigen musste. Was sie wieder an ihre Pläne für den Nachmittag erinnerte. Noch eine gute Stunde, doch musste sie auch noch das Fahrrad aus Moabit holen.
Ab und an kam jemand vorbei, der Kuschke ansprach und mit dem Mann ein kleines Gespräch anfing. Kuschke schien es nichtzu mögen, ganz gleich, ob er die Passanten kannte oder nicht, er wimmelte sie jedes Mal mit wenigen Worten ab, drehte sich meist nicht einmal um zu den Menschen, die mit ihm sprachen, sondern schrubbte ungerührt weiter. Die Farbe ging ganz gut ab, das Wort RACHE war schon kaum noch zu lesen, dem FÜR ging es auch schon an den Kragen.
Charly schaute auf die Uhr. So langsam wurde es Zeit, wollte sie Erich Rambow nicht verpassen. Sie trank den letzten Rest Kaffee, legte ein Markstück neben die Tasse und brach auf. Hatte Lange doch selbst gesagt: Die Suche nach Alex ging vor.
Eine halbe Stunde später stand sie zum zweiten Mal an diesem Tag an der Wertheim-Anlieferzone. Diesmal aber hielt sie sich im Hintergrund. Gretas Miele-Fahrrad hatte sie heute Morgen schon aus dem Keller geholt und aufgepumpt, nach ihrer Rückkehr von Wertheim. Mit so etwas war sie schon lange nicht mehr gefahren, aber für ihren heutigen Einsatz war es unumgänglich.
Er kam pünktlich. Erich Rambow schob sein Rad mit dem ersten Schwung der Wertheimer vom Kaufhausgelände. Auf den Gepäckträger hatte er ein bluttriefendes Paket geklemmt, wahrscheinlich sein Abendessen oder Schlachtreste für den Hund. Auf der Voßstraße stieg er auf und fuhr los. Charly schwang sich auf Gretas klappriges Rad und folgte ihm.
Erich Rambow fuhr verdammt schnell, sie musste ganz schön in die Pedale treten, um an ihm dranzubleiben. Und gleichzeitig aufpassen, dass sie nicht zu nah herankam und er sie möglicherweise erkannte. Sie hatte sich vorsichtshalber umgezogen, trug völlig andere Farben als heute Morgen, eine Kombination aus Braun- und Grautönen, Unauffälligeres hatte sie nicht im Schrank.
Es ging quer durch die Stadt, über den Werderschen Markt und die Königstraße in Richtung Osten. Als sie den Alex passierten und Rambow sich gekonnt durch die Baustellenumwege schlängelte, betete Charly, dass jetzt bloß kein Kollege aus der Burg sie so sehen möge: sie auf dem Rad, einen dürren Schlachtergesellen verfolgend. Nichts dergleichen passierte, niemand hielt sie auf, und sie blieb dran. Charly hoffte nur, der Junge möge nicht allzu weit im Osten wohnen, so langsam ging ihr die Puste aus. Dann fuhr er die Greifswalder Straße hinauf, auch noch bergauf! Endlich waren sie am Ziel, der Fleischer fuhr in einen Hinterhof in derLippehner Straße. In der Luft hing der Geruch der nahen Brauerei: Malz und Maische. Charly stieg ab und schaute vorsichtig durch die Hofeinfahrt. Rambow trug sein Rad gerade eine Kellertreppe hinunter. Charly hörte ihr Herz pumpen und ihre Lunge fauchen, aber langsam kam sie wieder zu Atem. Rambow kehrte zurück, das bluttriefende Paket in der Hand, und verschwand im Hinterhaus. Charly wartete einen Moment, dann ging sie hinüber, stellte ihr Rad an die Hauswand und schaute die Briefkästen durch, bis sie das Namensschild gefunden hatte. Fam. Günter Rambow. Er wohnte also bei seinen Eltern. Gut zu wissen. Noch im Hof trat sie wieder in die Pedale und fuhr mit Schwung durch die Toreinfahrt zurück auf die Straße. Es sollte so aussehen, als habe sie es eilig und noch eine weite Strecke vor sich. Niemand sollte auf die Idee kommen, dass sie gar nicht vorhatte, die Gegend hier zu verlassen.
71
S ie hatten den gestohlenen Krankenwagen gefunden. Endlich. Als Rath mit Tornow und Gräf, den sie im Büro aufgesammelt hatten, aus der Mittagspause kam, hatte Böhm diese Nachricht schon bei Erika Voss hinterlassen. Die Fahndung hatte den Wagen in der Nähe des Güterbahnhofs Moabit aufgetrieben. Natürlich leer; von Goldstein keine Spur.
»Oberkommissar Böhm meint, Sie sollten
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