Goldstein
Ausgerechnet Charly! Die ihm immer Vorhaltungen gemacht hatte wegen seiner krummen Touren! Auf eine gewisse Weise freute ihn das. Gleichzeitig kränkte es ihn, dass sie ihm nicht vertraute in dieser Sache. Als ob er sie verpfeifen würde! Er hätte ihr nicht einmal ins Gewissen geredet, er hätte sie machen lassen. Um ihr die Geschichte bei der nächsten Gelegenheit natürlich aufs Brot zu schmieren – wenn sie sich mal wieder Gedanken machte über die Legalität seiner Ermittlungsmethoden. Nun hatte auch die überkorrekte Charly einmal gemerkt, dass Legalität nicht immer das Entscheidende war. Das Entscheidende war der Erfolg!
Rath schaute auf die Cognacflasche. Er fühlte sich angenehm betrunken. Und als er gerade so an Legalität und Erfolg dachte, traf er einen Entschluss. Er ließ Kirie im Wohnzimmer zurück, die nur kurz blinzelte, als er vom Sessel aufstand, und schnappte sich Hut, Mantel und Autoschlüssel.
Wie stürmisch und regnerisch es draußen wirklich war, das merkte er erst, als er eine Viertelstunde später in der Dircksenstraße aus dem Auto stieg. Er hatte nicht im Lichthof geparkt, weil er möglichst wenig Aufsehen erregen wollte, und sein Buick immer Aufsehen erregte. Deswegen nutzte er auch eines der südlichen Treppenhäuser direkt bei den Garagen und Pferdeställen, in dem er höchstens Gefahr lief, jemandem von der Fahrbereitschaft oder einem Wachmann aus dem Arresttrakt zu begegnen, niemandem jedenfalls, der ihn kannte.
Die paar Meter vom Auto zum Südwesteingang hatten dem Wind gereicht, ihn kräftig wach zu pusten. Im Treppenhaus überprüfte er, ob seine Schuhsohlen wieder trocken waren, dann erst betrat er die Etage. Der lange Gang der Inspektion E lag da wie ausgestorben. Das war gut. Sollte jemand Überstunden machen oder aus irgendeinem anderen Grund hier etwas zu suchen haben, wäre Rath schnell in Erklärungsnot geraten. Erst recht ab dem Moment, da er die Tür öffnete und in das dunkle Büro schlüpfte. Er schloss die Tür gleich wieder. Nun war das hier endgültig ein Einbruch, auch wenn er nichts hatte aufbrechen müssen. In dem ganzen Durcheinander damals bei seinem Wechsel zur Mordinspektion hatte kein Mensch daran gedacht, die Schlüssel von Kommissar Rathzurückzufordern, und mit der Zeit hatte er selbst fast vergessen, dass er sie noch besaß. Bis sie ihm wieder in den Sinn gekommen waren. Heute Abend.
Es war gespenstisch still hier drinnen, nur der Regen trommelte gegen die Scheibe. Rath knipste Lankes Schreibtischlampe an, die ein grün-gelbes, schummriges Licht in den Raum warf, und suchte nach seinem alten Schreibtischschlüssel. Sogar der passte noch.
Das Licht reichte, er konnte genug erkennen. Rath kramte in den Schubladen, suchte nach irgendetwas, das wie ein Adressbuch aussah oder wie eine Kartei. Fehlanzeige. Benutztes Butterbrotpapier, das unter irgendwelche Akten geraten war, knisterte zwischen seinen Fingern, er fand Bleistifte, leere Zigarettenschachteln, einen angebissenen Apfel, alles Mögliche, nur nicht das, was er suchte. Kein Hinweis auf Marion Bosetzky. Natürlich nicht, nicht einmal ein Idiot wie Gregor Lanke legte eine Akte über seine inoffiziellen Spitzel an.
Die unterste Schublade enthielt nichts als Fotos. Pornografische Fotos. Was nicht weiter verwunderte, schließlich arbeitete Lanke junior wie sein Onkel bei der Sitte, und da gehörte so etwas zum Beweismaterial. Nur dass sich in der Schreibtischschublade des Inspektionsleiterneffen eine enorme Menge an Beweismaterial stapelte, zum Teil ganz schön abgegriffen, voller Fingerabdrücke. Rath blätterte durch die Bilder. Unglaublich, diese Sammlung! Sah aus, als habe Lanke aus jeder Serie die besten herausgepickt und für sich behalten. Rath fielen sogar ein paar Bilder in die Hände, die er seinerzeit selbst beschlagnahmt hatte: ein Hindenburg-Double im Nahkampf mit Mata Hari. Doch waren es nicht diese Bilder, die seine Aufmerksamkeit erregten, sondern andere: private Aufnahmen, Amateuraufnahmen, die immer dieselbe nackte Frau zeigten, und zwar in Aktion, fotografiert aus der Perspektive eines Mannes, von dem meist nur der erigierte Penis, und auch der selten in Gänze zu sehen war, weil er meist in irgendwelchen Körperöffnungen verschwunden war. Ohne die Anatomie von Lanke junior zu kennen, war Rath sicher, dass der Kriminalsekretär diese Aufnahmen selbst gemacht hatte. Und das gab ihm die Gewissheit über zweierlei: Erstens war Gregor Lanke genau die Drecksau, für die er seinen
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