Goldstein
in den Kissen, den ganzen Tag noch hatte er ihn in der Nase gehabt, doch jetzt wollte er mehr. Wie schnell das doch ging, nachdem er am Wochenende schon begonnen hatte, sich wieder ans Alleinsein zu gewöhnen.
Er fuhr zunächst zum Luisenufer, duschte und zog einen frischen Anzug an, dann machte er sich auf den Weg. Diesmal verzichtete er auf Blumen, besorgte stattdessen eine Flasche Sekt. Es gab immer noch genügend Grund zum Feiern, zwar nicht ihre Verlobung, das hatte wieder nicht gepasst, aber sonst ... Gestern Abend hätte er nicht gedacht, dass sie sich so schnell wieder versöhnen würden, eine Zeit lang sogar gezweifelt, ob sie sich überhaupt versöhnen würden. Selbst Kirie schien sich zu freuen, als sie merkte, dass es wieder zur Spenerstraße ging; kaum hatte Rath die Autotür geöffnet, sprang der Hund auf die Straße und wedelte mit dem Schwanz.
»Ja, mein Bester«, sagte Rath, »du siehst Frauchen ja gleich.«
Bevor er hineinging, betrachtete er sich und Kirie im Schaufenster des Kolonialwarenladens nebenan und richtete die Krawatte. Sie machten einen guten Eindruck, sie beide! Rath rückte seinen Hut noch ein wenig zurecht, dann ging er ins Haus und stieg pfeifend die Treppe hoch.
Es dauerte ziemlich lang, bis sich endlich die Tür öffnete, und wieder machte sich ein komisches Gefühl breit. Aber dann: kein Grinsemann, keine böse Überraschung; Charly öffnete ihm selbst. Na also!
»Gereon!«
Sie sah ziemlich überrascht aus. Noch überraschter, als er erwartet hatte. Eher unangenehm überrascht sogar. Ein paarmal hatte er heute versucht, sie zuhause zu erreichen, jedes Mal vergeblich. Kein Wunder, hatte er gedacht, natürlich hockte sie nicht den ganzen Tag zuhause, auch wenn sie beurlaubt war, würde er ja genauso wenig machen. Und hatte sich dann umso mehr darauf gefreut, sie nach Feierabend zu besuchen.
»Überraschung«, sagte er überflüssigerweise. Kirie wedelte mit dem Schwanz.
»Mensch, ihr beiden!« Charly bückte sich und kraulte Kirie durchs schwarze Fell. »Das ist aber wirklich eine Überraschung.«
»Werden hier nur Hunde begrüßt?«
Sie blickte sich um, niemand im Treppenhaus, sie gab ihm einen Kuss, blieb aber in der Tür stehen wie ein Tempelwächter.
»Willst du uns nicht einfach hineinbitten? Dann musst du auch keine Angst haben, dass die alte Brettschneider uns beim Küssen zusieht und einen Herzinfarkt bekommt.«
Charly schaute zerknirscht. »Würde ich ja gerne. Aber das geht leider nicht.«
»Wieso denn nicht?« Rath merkte so langsam, dass seine Überrumpelungstaktik wieder fehlgeschlagen war.
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe Besuch.«
Er musste ein ziemlich dummes Gesicht gemacht haben, sie lachte. »Keine Angst! Guido ist es nicht! Überhaupt kein Mann.«
»Und warum dann so geheimnisvoll?«
»Es ist – ich erklär’ dir das lieber ein andermal, das führt zu weit, hier zwischen Tür und Angel.«
»Ich wollte dich halt überraschen. Zwangsläufig. Hab dich den ganzen Tag nicht ans Telefon gekriegt.«
»Ich hatte verdammt viel um die Ohren, erzähle ich dir alles morgen, ja? Jetzt geht’s wirklich nicht.« Sie schaute ihn an, beinahe bedauernd. »Es tut mir wirklich leid, Gereon«, sagte sie, »wir telefonieren, ja?«
In der Wohnung öffnete sich die Badezimmertür, und ein Mädchen kam heraus, in Charlys roten Bademantel gehüllt und mit nassen Haaren. Sie drehte sich kurz um und schaute ihn aus misstrauischen Augen an, bevor sie in die Küche ging. Rath schätzte sie auf höchstens achtzehn, neunzehn. Ihre Oberlippe war auf der rechten Seite geschwollen.
Er unterdrückte die Frage »Wer ist das?«, er konnte sich die Antwort selbst zusammenreimen.
»Na ja«, sagte er und hob die Flasche. »Dann trinken Kirie und ich das eben alleine.«
»Gereon!« Sie schaute wirklich bedauernd. »Nicht böse sein!«
Er zwang sich zu einem Lächeln und hoffte, es wirke nicht allzu bemüht. »Lange hätte ich sowieso nicht bleiben können«, sagteer und hob bedauernd die Schultern. »Muss heute am Luisenufer schlafen. Morgen früh brauche ich den schwarzen Anzug.«
»Musst du auf eine Beerdigung?« Sie klang erschrocken. Sie hatten sich nicht viel erzählt gestern. Eher andere Dinge gemacht.
Rath nickte. »Vielleicht sogar auf zwei.«
78
A ls Charly in die Wohnung zurückkehrte, saß Alex in der Küche, hatte sich in den warmen Bademantel gewickelt und pustete in eine Tasse Tee, die Charly ihr hingestellt hatte.
»Wer war’n das?«, fragte
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