Goldstein
störte den Wärter jetzt nicht mehr, das hatte er inzwischen vertilgt, und so schlossen sich die schweren Flügel des eisernen Schleusentores schneller, als sie sich geöffnet hatten. Bis sie sich auf einmal gar nicht mehr bewegten.
Irgendetwas klemmte, irgendetwas hakte, der Schleusenwärter spürte einen Widerstand. Nicht dass denen von ihrem blöden Kahn ein Schrottteil ins Wasser gefallen war und jetzt das Tor verkeilte!
»Dammich!«, schimpfte er, aber der Widerstand ließ sich so einfach nicht überwinden. Er kurbelte ein Stück zurück, öffnete das Tor wieder ein wenig, meistens half das. Was so alles die Spree runtertrieb! Alles Mögliche hatten sie schon gefunden, Ölfässer, ein rostiges Bettgestell, eine Verkehrsampel, das Gerippe eines Kinderwagens, sogar einen halbverwesten Kuhkadaver, alles blieb am Mühlendamm hängen, und er hatte sich bei manchen Dingen wirklich nicht erklären können, wie sie überhaupt in den Fluss gekommen waren. Es sich auch gar nicht vorstellen wollen. Keine Ahnung, was es diesmal sein mochte, aber war wohl wieder Zeit zum Saubermachen.
Der Trick mit dem Zurückkurbeln half auch diesmal, das Ding, das sich da unter Wasser verklemmt hatte, löste sich; das Schleusentor bewegte sich wieder mit leisem Quietschen und Gluckern.
»Da ist was im Wasser«, rief einer der Männer auf dem Schrotttransport. Der Schiffer stützte sich mit der einen Hand auf seinen Holzstab und zeigte mit der anderen in Richtung des Eisentores, das nun fast geschlossen war. Der Schleusenwärter schaute ins Wasser, und tatsächlich schimmerte da etwas Helles knapp unter der Oberfläche, sah durch die optische Brechung ziemlich plattgewalzt aus. Hätte der Wärter gewusst, was das war, hätte er womöglich nicht so genau hingeschaut, doch er merkte es erst, als diese Augen ihn anstarrten, aus einem Gesicht, so aufgedunsen und bleich, dass es schon nicht mehr menschlich wirkte. Doch es war ein Mensch, die Haut wächsern und grünlich vom algigen Wasser, die kurzen Haare, die wie Seegras sanft in der Strömung wogten, und eine tiefe, aber völlig unblutige, und darum umso grässlichere Wunde in der rechten Gesichtshälfte, die das halbe Gebiss freilegte und den Mann so aussehen ließ, als fletsche er die Zähne. Erst als der Schleusenwärter das alles genauestens wahrgenommen hatte, wurde ihm bewusst, dass er eine Wasserleiche anstarrte.
Seine Knie wurden weich, gleichzeitig merkte er, wie sich sein Magen umstülpte, er konnte nichts dagegen tun. Er sank auf die Knie, würgte einmal kurz und kotzte dann sein komplettes Frühstück ins trübschwarze Wasser der Schleusenkammer. Es war Donnerstagmorgen, sechs Uhr fünfundvierzig.
89
D ie Stimmung erinnerte verdächtig an die Sitzung vor einer Woche. Wieder stand Bernhard Weiß auf dem Podium, und wieder machte der Vizepolizeipräsident eine ernste Miene. Und tatsächlich ging es schon wieder um einen toten Polizisten.
Wieder ein Schupo, diesmal im Hansaviertel, aber diesmal hatte es ihn nicht im Dienst getroffen, der Mann war beurlaubt und inZivil unterwegs gewesen, als er von einem Unbekannten erstochen wurde.
»Die Umstände des Todesfalles sind uns ein Rätsel«, meinte Weiß, »ein politischer Hintergrund ist eher unwahrscheinlich, aber gleichwohl nicht auszuschließen, doch ist in diesem Fall wohl nicht die Uniform gemeint gewesen, sondern der Mensch Jochen Kuschke.«
Tornow schluckte, als Weiß den Namen des toten Schupos nannte.
»Verdammt«, sagte er, »das ist einer meiner Leute. Einer von den alten Kollegen vom Wittenbergplatz.«
Das bestätigte kurz darauf Ernst Gennat, der Weiß am Rednerpult ablöste. Es sei nicht auszuschließen, dass es sich um einen Racheakt aus der Unterwelt handele, erklärte der Buddha, der die Ermittlungen in diesem Fall persönlich übernommen hatte, denn Hauptwachtmeister Kuschke sei einer der Beamten gewesen, die vor knapp zwei Wochen am KaDeWe im Einsatz gewesen seien – jener Einsatz, bei dem bekanntlich einer der jugendlichen Einbrecher zu Tode gekommen sei.
»Womöglich«, fuhr Gennat fort, »waren es Komplizen oder Hintermänner des toten Einbrechers, die hier blutig Rache genommen haben.«
Verdammt, dachte Rath. Charlys Alex. Sollte die nun auch noch zur Mörderin geworden sein? Gestern Abend hatte er kein Wort über die Göre verloren, die er tags zuvor in ihrer Wohnung gesehen hatte, und Charly hatte auch nichts gesagt. Nun aber würde er das Ganze nicht länger totschweigen können. Was war da los?
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