Goldstein
kommen schon zurecht.«
Fräulein Stock brauchte nur ein, zwei Sekunden, bis sie begriffen hatte. Sie ging nicht gerne, aber sie ging.
Wenige Minuten später konnte man sie im Hof tatsächlich Teppiche klopfen hören. Entweder reiner Zufall, oder in der Zimmerwirtin war der königlich preußische Untertanengeist noch so lebendig, dass sie jedes Wort eines Polizisten als Befehl auffasste. Charly, die gerade die obere Schublade des Schreibtischs geöffnet hatte, schaute Lange an, der ihren Blick erwiderte und grinste, bevor er sich wieder Kuschkes Kleiderschrank zuwandte.
Zu dieser Durchsuchung hatte Charly den Kriminalassistenten noch begleitet, auf eigenen Wunsch; danach, so hatten sie vereinbart, würde sie sich vorerst nicht mehr im Präsidium blicken lassen. »Wenn Sie etwas für uns tun können, Charly«, hatte Gennat gesagt, »dann rufen wir Sie an. Halten Sie sich zur Verfügung.« Der Buddha hatte ihr das Gefühl zu geben versucht, dass sie gebraucht wurde, doch Charly spürte, dass er fürchtete, zu weit gegangen zu sein mit ihrem inoffiziellen Einsatz, und sie aus weiteren Zwischenfällen heraushalten wollte. Wenn sie zu oft in der Mordinspektion auftauchte, könnte das bei den Kollegen zu viele Fragen aufwerfen.
Vor allem bei einem Kollegen, dachte Charly.
Sie hatte Gereon noch immer nichts erzählt. Obwohl er Alex in der Spenerstraße gesehen hatte und sich seinen Teil gedacht haben dürfte, hatte er nichts gesagt, hatte es ihr überlassen zu erzählen. Doch sie hatte nicht erzählt. Die Geheimniskrämerei, zu der sie sich Lange und Gennat gegenüber verpflichtet hatte, bereitete ihr gehörige Bauchschmerzen. Einerseits war sie froh, dass er nicht nachgehakt hatte, so war ihnen eine unangenehme Situation erspart geblieben, andererseits fühlte sie sich umso schäbiger mit ihrem Schweigen. Sie hatte ihm angesehen, dass er es nicht guthieß, dass sie ein Straßenmädchen, eine flüchtige Einbrecherin, in ihre Wohnung aufgenommen hatte. Hätte er gewusst, was sonst noch passiert war ...
Wie lange würde sie das Schweigen aufrechterhalten können? Sie machte genau das, was sie ihm immer vorwarf: Sie hielt mit dem hinter dem Berg, was sie gerade beruflich machte, sie war unaufrichtig, sie kochte ihr eigenes Süppchen. Wenn auch auf Bitten und mit Unterstützung von Kriminalrat Gennat, aber machte das einen Unterschied?
Charly blätterte durch die Papiere, die sie in den Schubladenfand, und durchsuchte sie nach irgendetwas Auffälligem. Fehlanzeige. Sie konnte sich nicht helfen: Irgendwie sah es so aus, als sei schon jemand hier gewesen, als habe sich vor Kurzem schon jemand durch die Schubladen gewühlt. Diese Unordnung hier war keine organisch gewachsene, das war eine destruktive, eine, die eine bestehende Ordnung zerstört hatte.
Charlys Blick fiel auf das Bücherregal: Ein paar Bücher standen verkehrt herum. Wenn man genau hinschaute, sah man auch sonst überall Anzeichen einer hastigen Durchsuchung; an diesem Eindruck konnte auch der blitzblanke Zustand der Wohnung nichts ändern. Lange schien Ähnliches zu denken. Er öffnete das Fenster und rief den Namen der Zimmerwirtin in den Hof.
Keine zwei Minuten später stand sie wieder in der Wohnung ihres Mieters und hatte einen Blick aufgesetzt, der zu sagen schien: Sehen Sie! Ohne mich kommen Sie hier doch nicht weiter!
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie bei Ihrer Arbeit stören muss, Frau ... Fräulein Stock.« Lange klang so freundlich wie der Schwiegersohn, den Elfriede Stock niemals haben würde, und ihr Blick wurde weicher. »Aber wir haben da noch eine Frage: War jemand in der Wohnung, nachdem Herr Kuschke sie am Mittwoch Nachmittag verlassen hat?«
»Aber natürlich!« Sie nickte eifrig. »Ich heute Morgen. Zum Putzen.«
»Das wissen wir. Ich meine sonst jemand?«
»Na, Ihr Kollege. Aber das wissen Sie doch sicher ...«
»Welcher Kollege?«
»Nicht? Na, genauer gesagt, war’s ja auch ein Kollege von Herrn Kuschke. Einer von der Wache, einer in Uniform.«
Auch Lange war von dieser Antwort wie elektrisiert, das konnte Charly sehen. Doch er hatte sich im Griff.
»Wann war das?«, fragte er genauso freundlich wie bisher.
»Na gestern. So am späten Nachmittag.«
»Was wollte der Mann?«
»Nur ein paar Sachen holen. Herr Kuschke wolle verreisen, hat er gesagt. Und der Kollege habe ihn gebeten, den Koffer zu holen.«
»Hat er wirklich nur den Koffer geholt? Sich nicht vielleicht in der Wohnung umgeschaut?«
»Das weiß ich nicht. Ich
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