Goldstein
vielmals um Entschuldigung«, sagte er, »aber ick war schon’n paarmal hier diese Woche, und da war nie eener zuhause.«
»Schon in Ordnung, Herr Maltritz.« Charly lächelte den Hausverwalter an, auch wenn ihr nicht danach zumute war. »Ist ja nicht Ihre Schuld, dass ich so viel unterwegs bin.«
»Bitte vielmals um Entschuldigung.«
»Sie tun doch nur Ihre Pflicht. Einer muss die Miete ja eintreiben.«
Der Hausverwalter nickte. »So ist es. Wenn ich dann bitten dürfte. Zwölffuffzich, bitte. Quittung ist schon vorbereitet, wie immer.«
»Kleinen Moment bitte. Bin gleich zurück.«
Charly verschwand wieder in der Wohnung. An die Miete hatte sie diese Woche überhaupt nicht mehr gedacht. Eigentlich war die montags fällig, und sonst hielt sie das Geld immer abgezählt bereit, um die allwöchentliche Prozedur so kurz wie möglich zu halten. Aber bei dem Chaos, das diese Woche prägte, hatte sie an solche Banalitäten wie die Miete überhaupt nicht mehr gedacht. Montag hatte sie Langes und Gennats Sonderauftrag angenommen, hatte Heymann zugesagt und sich mit Gereon getroffen. Und die anderen Tage hatte sie nicht weniger zu tun gehabt.
Sie ging in die Küche und öffnete den Geschirrschrank. Doch als sie das Steinguttöpfchen aus dem Schrank holte, erstarrte sie.
Leer.
Einen Moment überlegte sie hektisch, was sie mit dem Geldgemacht haben könnte, dann aber wusste sie, was passiert war und wer es gestohlen hatte. Verdammt! Und sie hatte den Mädchen vertraut. Nur weil sie ihr nicht die Knarre geklaut und sogar Frühstück gemacht hatten. Als Alex ihren Kaffee aufbrühte, hatte sie das Geld wahrscheinlich schon eingesteckt. Während Charly treudoof dagesessen und die ungenießbare Brühe gelobt hatte. Hundertzwanzig Mark! Miete und Haushaltsgeld, alles, was sie für die nächsten Wochen zurückgelegt hatte. Alles, was sie für die nächsten Wochen überhaupt hatte! Eigentlich hatte sie morgen einkaufen gehen wollen, einen Reiseführer für Paris und ein Wörterbuch, um ihr eingerostetes Französisch etwas aufzubessern.
Alex, du Ratte!
Charly ging zurück zur Wohnungstür.
»Das ist mir jetzt aber unangenehm, Herr Maltritz«, sagte sie. »Aber ich habe ganz vergessen, dass ich heute gar nicht am Gericht war. Ich bekomme mein Gehalt erst am Montag. Wenn Sie sich so lange noch gedulden könnten.«
Hans Maltritz, ihr Hauswart, guckte nicht gerade erfreut – die beiden Frauen, die ohne Männer allein in einer Wohnung hausten, waren ihm ohnehin nicht ganz geheuer –, aber er machte gute Miene zum bösen Spiel. »Gut«, sagte er, »will ich noch mal ein Auge zudrücken. Weil Sie es sind. Aber nächsten Montag bekomme ich das Geld, sonst muss ich Zinsen berechnen! Auch rückwirkend!«
»Aber natürlich.« Charly lächelte, sie lächelte den Mann in Grund und Boden. Es half. Er tippte an seine Mütze und wünschte einen schönen Abend. Auf der Treppe drehte er sich noch einmal um. »Montag«, sagte er, und Charly nickte und lächelte ihn die Treppe hinunter.
Verdammt, dachte sie, als sie die Tür wieder geschlossen hatte, verdammt!
Eines war jetzt sicher: Alexandra Reinhold war ein durchtriebeneres Biest, als sie es je für möglich gehalten hätte. Wie hatte sie sich täuschen lassen! Tolle Menschenkenntnis, Fräulein Ritter! Was bist du nur für eine naive Pute! Gereon hatte völlig recht. Und Andreas Lange offensichtlich auch.
88
D er Tag war grau, und er schien nicht heller werden zu wollen, obwohl die Sonne längst aufgegangen war. Eine dicke Wolkendecke lag über der Stadt und drohte mit Regen, doch der war bislang ausgeblieben. Am Mühlendamm herrschte schon Hochbetrieb, fünf Schiffe warteten vor der Schleuse. Der Schleusenwärter kaute auf einer Schmalzstulle, sein zweites Frühstück bereits, während er das Schleusentor für einen Lastkahn öffnete, der Berge von Eisenschrott geladen hatte. Weil er dazu meist beide Hände brauchte, steckte er die Stulle immer mal wieder zwischen die Zähne, wie andere das mit ihren Zigaretten machten, wenn sie keine Hand frei hatten. Langsam schob sich das Schiff in die Schleusenkammer. Vier Männer standen an Bord, hielten die Schleusenwand mit langen Holzstäben auf Abstand und achteten darauf, dass ihr Schiff nicht an der algenbewachsenen Mauer entlangschrammte. Dann sprangen zwei zu den Tauen und machten den Kahn in der Schleusenkammer fest, während der Schleusenwärter das Rad in die andere Richtung kurbelte, um das Tor wieder zu schließen.
Das Brot
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