Goldstein
Absteigen darunter. Kein Wunder, in der Gegend.«
Die Gegend, das war das Poetenviertel in der Nähe des Stettiner Bahnhofs. Poetisch waren hier nur die Straßennamen, die an Deutschlands große Romantiker erinnerten, ansonsten ging es hier weder romantisch noch poetisch zu. Eine Bahnhofsgegend halt. Heruntergekommene Fassaden, dunkle Hinterhöfe, üble Kaschemmen, Straßenstrich, Drogenhandel, das ganze Programm. Die Gegend der Nordpiraten.
Eine knappe Stunde später suchte Rath einen Parkplatz vor dem mächtigen Bahnhofsgebäude, das die meisten Berliner mit den Großen Ferien in Verbindung brachten, weil hier die Züge in Richtung Ostsee abfuhren. Der Rummel war entsprechend. Braungebrannte Rückkehrer begegneten bleichen Großstädtern, die der verregnete Sommer aus der Stadt trieb. Rath hatte sich einen Opel von der Fahrbereitschaft besorgen müssen, der Buick war zu klein für drei Leute, und er hatte Gräf nicht zum Bürodienst verdonnern wollen. Erst neben der Bahnhofshalle konnten sie den Wagen schließlich abstellen, vor dem Bahnhof der Vorortbahnen, der aussah wie das kleine Kind des Stettiner Bahnhofs, die gleichen gelben Backsteine, gerade zur Welt gebracht und dann stiefmütterlich links liegen gelassen.
Bevor sie ausstiegen, verteilte Rath die Listen. Er hatte die Voss gebeten, die Adressen nach Himmelsrichtungen zu sortieren. Südlich des Stettiner Bahnhofs befanden sich die meisten Hotels. Rath selbst übernahm die südwestlichen, Gräf die südöstlichen, Tornow alles nördlich der Invalidenstraße. Dank des Fleißes von Kriminalassistent Grabowski hatten sie genug zu tun.
»Gut, Männer«, sagte Rath, als er den Wagen abschloss, »um eins treffen wir uns im Bahnhofsrestaurant, dann berichtet jeder, was er herausgefunden hat.« Er grinste. »Sollte jemand Goldstein aufspüren, verständigt er bitte das nächste Polizeirevier und nimmt den Mann fest. Gegebenenfalls auch vor dem Mittagessen.«
Die Männer schwärmten aus. Rath schaute neidvoll auf die braungebrannten Ostseeurlauber, die aus dem Bahnhof strömten und nach einem Taxi Ausschau hielten. Ob das Wetter auf Rügen wirklich so viel besser war als in Berlin? Es sah jedenfalls so aus. Jetzt noch einmal mit Charly in den Urlaub fahren, dachte er, den verpatzten Sommerurlaub wiederholen. Tja, damit würde er sich wohl noch gedulden müssen. Vielleicht besuchte er sie im Herbst mal in Paris, wenn sie wieder weniger zu tun hatten in der Burg und Überstunden abfeierten. Wo Charly jetzt wohl stecken mochte? Hoffentlich hatte ihr Straßenmädchen nichts mit dem jüngsten Polizistenmord zu tun! Er musste an den toten Schupo denken. Tornow war heute schweigsam geblieben, man konnte ihm ansehen, dass ihm dieser Todesfall naheging. Womöglich war der Tote ein Freund gewesen. Rath hatte nicht nachfragenwollen. Jedenfalls konnte er sich vorstellen, dass Tornow lieber in Gennats Ermittlergruppe mitgearbeitet hätte, als an Raths Seite einen jüdischen Gangster zu suchen. Und genau deshalb hatte der Buddha ihn nicht geholt. Rath hoffte, dass Tornow durch die Arbeit auf andere Gedanken kam. Auch deshalb war es gut, dass sie heute rauskamen und nicht den ganzen Tag im Büro hockten. Er schaute auf seine Liste. Das erste Hotel lag in der Eichendorffstraße.
90
D ie Wohnung war möbliert, und auch sonst deutete alles darauf hin, dass hier ein Junggeselle gewohnt hatte, auch wenn es in den Räumen des toten Hauptwachtmeisters aussah, als sei hier gestern noch sauber gemacht und ein wenig aufgeräumt worden. Sauber und ordentlich war es, aber sonst fehlte alles, was eine Wohnung gemütlich macht. Keine Pflanzen, keine Bilder, es wirkte so, als habe sich hier noch nie eine Frau aufgehalten, bis auf die Zimmerwirtin, die ihnen ungefragt Gesellschaft leistete und keinerlei Anstalten machte zu gehen. Interessiert und ein wenig argwöhnisch schaute sie Lange dabei zu, wie er den Kleiderschrank öffnete, in dem fein säuberlich noch die Uniform von Jochen Kuschke hing. Der Tschako lag oben auf dem Schrank.
Die Zimmerwirtin stand genau hinter Lange. Charly konnte sehen, dass sie ihn nervös machte. Schließlich platzte ihm der Kragen, und er drehte sich um.
»Gute Frau«, sagte er und baute sich breitbeinig vor ihr auf.
»Fräulein«, unterbrach sie ihn. »Fräulein Elfriede Stock.«
»Meinetwegen. Liebes Fräulein Stock, Sie haben doch bestimmt noch Wäsche zu waschen oder Teppiche zu klopfen, nicht wahr? Dann wollen wir Sie nicht länger aufhalten. Wir
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