Goldstein
für Spitzeldienste gegen einen Ganoven einspannen wollen. »Irgendwoher muss er das gewusst haben mit mir und Hugo«, hatte sie erzählt, »dabei war ich erst wenige Wochen mit ihm zusammen.« Jedenfalls habe sie sich wohl oder übel darauf eingelassen. Die Anweisungen, die sie per Telefon erhalten habe, seien präzise gewesen, so hatte sie den Kontakt einfädeln können, ohne dass Lenz sie damit in Verbindung bringen konnte. Zweimal musste der rote Hugo sich mit seinem späteren Mörder getroffen haben, das dritte Treffen endete dann tödlich. Christine hatte den Mann nie gesehen, die Nummer aber wusste sie noch, die sie angerufen hatte. Rath schaute in sein Notizbuch: STEPHAN 1701 . Er hatte es vorhin schon einmal versucht, in der Telefonzelle, in deren Nähe der Opel stand, aber niemand hatte abgehoben. Na, wenigstens hatte er nun einen Anhaltspunkt.
Der Fernsprecher stand unten an der Schöneberger Hauptstraße, ein paar Meter die Mühlenstraße runter. Rath schaute auf die Uhr und überlegte, ob er es noch einmal probieren sollte. Seit über einer Stunde hatte er die Kirche nun im Blick, und nichts tat sich. Niemand hatte sich blicken lassen, weder Joseph Flegenheimer noch Abraham Goldstein. Wäre ja auch zu schön gewesen.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass kein Bekannter auf der Straße war, stieg er aus dem Wagen. Während er die Mühlenstraße hinunterging, schaute er in das Schaufenster eines Bestattungsunternehmens, in dem sich die Kirchenfasssade spiegelte. Von der Telefonzelle aus konnte er Sankt Norbert nur sehen, wenn er die Tür öffnete und einen Schritt hinausmachte. Er unterließ solche Verrenkungen, obwohl das Telefonkabel dafür lang genug gewesen wäre, er hatte ohnehin das Gefühl, hier nur seine Zeit zu verplempern. Ein vertrautes Gefühl bei einer Observierung. Er verlangte STEPHAN 1701 und ließ es lange klingeln. Fehlanzeige. Niemand zuhause. Eine Polizeiwache verbarg sich hinter dem Anschluss jedenfalls schon mal nicht.
Als er wieder bei dem grünen Opel angekommen war und die Kirchenfassade betrachtete, empfand er wenig Lust, sich wieder in das vollgequalmte Auto zu setzen. Er steckte sich eine Zigarette an und blieb draußen stehen, vor dem Schaufenster des Bestattungsunternehmens, schaute sich die Särge an und fragte sich, ob es nicht besser wäre, sich das Rauchen doch irgendwann einmal abzugewöhnen. Auch als er die Zigarette ausgetreten hatte, war die Aussicht, die nächsten wieder in dem engen Wagen zu rauchen, nicht verlockender geworden. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg eben ...
Keine drei Minuten später stand er wieder einmal vor der Wohnungstür der Flegenheimers, fest entschlossen, die Trauer ein zweites Mal zu stören. Diesmal war die Tür verschlossen. Rath klingelte, und es dauerte eine Weile, bis er Schritte hörte. Eine Frau öffnete, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
»Äh, ich bin doch hier bei Flegenheimer«, sagte er, ein wenig irritiert.
Die Frau musterte ihn von oben bis unten. »Ja«, sagte sie.
»Ich würde gerne Joseph Flegenheimer ...«
»Ist nicht da«, sagte die Frau, bevor Rath den Satz zu Ende gesprochen hatte.
»Wer ist denn da, Riwka?«, hörte Rath eine bekannte Stimme. Lea Flegenheimer war also zuhause. Zwei Sekunden später stand sie an der Tür und musterte Rath wie ein lästiges Insekt.
»Haben Sie uns noch nicht genug belästigt?«
»Ich würde gerne Ihren Sohn sprechen, Frau Flegenheimer.«
»Da haben Sie sich den falschen Tag ausgesucht.«
»Wie?«
»Schabbes«, sagte Lea Flegenheimer, »die Männer sind in der Synagoge. Und ich bereite mit Riwka hier unser Sabbatmahl vor.«
»Ach? Ich dachte immer, Sabbat sei erst am Samstag.«
»Sie haben keine jüdischen Freunde, Herr Kommissar, nicht wahr?«, fragte Lea Flegenheimer, und während Rath noch überlegte, ob er Manfred Oppenberg oder Magnus Schwartz als Freunde bezeichnen könnte, ja, ob er überhaupt Freunde hatte, seien es nun jüdische, katholische, evangelische oder wenigstens atheistische, da gab sie auch schon die Antwort. »Offensichtlich, sonst wüssten Sie, dass der Tag bei uns mit dem Sonnenuntergang beginnt.«
»Vielen Dank für die Belehrung«, sagte Rath. Er wusste, dass er Leute wie Lea Flegenheimer am besten ärgern konnte, indem er unerschütterlich freundlich blieb. »Hätten Sie die Freundlichkeit, mir zu sagen, in welcher Synagoge ich Ihren Sohn finden könnte?«
»Sie wollen doch wohl nicht den Gottesdienst
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