Goldstein
stören?«
»Keine Sorge, ich warte draußen.«
Rath brauchte keine fünf Minuten bis zur Synagoge in der Münchener Straße. Natürlich ging er nicht hinein, das hätte er auch ohne die Warnung Lea Flegenheimers nicht gemacht. Er blieb vor dem Portal stehen und zündete sich eine Zigarette an. Die Dämmerung war schon im fortgeschrittenen Stadium, so lange konnte es doch nicht mehr dauern. Er betrachtete den wuchtig wirkenden Bau der Synagoge, eine Jugendstilfassade, über der eine gedrungene Kuppel thronte, abgeschlossen von einem Davidstern.
Es dauerte genau zwei Zigaretten, dann kamen die Männer aus dem Gottesdienst. Nur Männer. Die Frauen waren wahrscheinlich alle zuhause und bereiteten das Essen vor. Rath musste schon genau hinschauen, nicht nur, weil die Nacht inzwischen um sich griff, sondern weil die meisten dieser Männer recht ähnlich gekleidet waren. Fast alle trugen schwarze Mäntel und schwarze Hüte, alle trugen ihren Gebetsschal. Zwar waren nicht alle mit Bart und Schläfenlocken gesegnet, doch waren es immer noch genug, dass Rath Probleme hatte, Vater und Sohn Flegenheimer in der Menge zu finden. Sie gingen in einer Gruppe von Männerndie Münchner Straße hinunter Richtung Grunewaldstraße; Rath folgte ihnen in einigem Abstand. Über die Grunewaldstraße gingen die Männer noch ein Stück gemeinsam, an der Einmündung zur Berchtesgadener Straße trennten sich die Flegenheimers von den anderen.
Rath kannte sich selbst nicht wieder, aber er brachte es nicht fertig, Joseph Flegenheimer jetzt anzusprechen. Oder dem Vater auf die Nase zu binden, dass er den Sohn in eine katholische Kirche hatte gehen sehen. Er wusste nicht, ob es an den Gebetsmänteln lag, die Vater und Sohn trugen oder daran, dass er wusste, dass sie nun den wichtigsten Tag ihrer Religion feierten, aber es lag irgendetwas in der Luft, etwas Religiöses, beinah intim Religiöses, das er nicht stören wollte, nicht stören konnte. Vielleicht war er doch zu katholisch, tief in seinem Innern, dass er einen zu großen Respekt hatte vor Menschen, die das taten, zu dem er sich nicht mehr fähig fühlte, obwohl er sich eigentlich danach sehnte: an Gott zu glauben.
Er wartete, bis die beiden in ihrem Haus verschwunden waren, dann ging er die Berchtesgadener Straße hinunter und zurück zu seinem Auto. Es wurde Zeit, er musste noch in die Burg, den Buick abholen.
99
S amstags gab es Schnitzel. Der dicke Czerwinski hatte sich ein besonders großes Exemplar auf den Teller legen lassen, dazu extra Kartoffelsalat; das Thekenpersonal in der Kantine kannte den Appetit des Kriminalsekretärs. Rath und Henning waren da bescheidener und gaben sich mit kleineren Portionen zufrieden.
Plisch und Plum waren in guter Stimmung. Wochenende. Das jede Woche möglichst unfallfrei zu erreichen, das war für Czerwinski das Maß aller Dinge. Und das hatte er mal wieder geschafft. Die beiden schöpften keinen Verdacht, als Rath sie ausfragte. Sie hatten schon so oft mit ihm zusammengearbeitet, da war es ganz normal, dass der Kommissar sich nach ihren aktuellen Ermittlungen erkundigte, auch wenn Böhm sie auseinandergerissen hatte.
Auf den Tatort Osthafen waren die beiden noch immer nicht gekommen, obwohl das Gelände mit einigen anderen schlecht zugänglichen Uferregionen in der engeren Wahl stand. Auch zum Todeszeitpunkt konnten sie nichts sagen. Mit anderen Worten: Sie hatten immer noch nichts, weniger jedenfalls als Rath, doch der konnte sein Wissen nicht mit den Kollegen teilen. Mangels irgendwelcher anderen Hinweise gingen Plisch und Plum allein angesichts Hugos Leumund davon aus, dass es sich bei seinem Tod um eine Abrechnung im Verbrechermilieu handeln musste. Was sollten sie auch tun? Andere Anhaltspunkte hatten sie nicht. Und der Tod von Ratten-Rudi passte allzu gut ins Bild. Wobei sie auch nicht sagen konnten, welche Leiche die Rache für welche sein konnte, zu ungenau war die Bestimmung der Todeszeitpunkte.
»Was seltsam ist«, meinte Henning, »dass der Täter in beiden Fällen nach demselben Muster gehandelt hat: eine Kugel in den Kopf, eine in die Brust. Und noch seltsamer, dass beide Männer laut Ballistikgutachten mit derselben Waffe getötet wurden. Mit derselben, mit der auch dem toten SA-Mann der Fuß zertrümmert wurde.«
»Die Remington von unserem lieben Goldstein«, meinte Rath, und der Kriminalassistent nickte.
»Sieht so aus, als hätten die Zeitungen recht«, meinte Czerwinski, der trotz seiner Riesenportion schon beim Nachtisch
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