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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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schluckte. Das hörte sich nicht so an, als würde sie in ein paar Stunden wieder freigelassen werden.
    109
    R ath parkte den Buick in der Ritterstraße. Er zog den Hut tiefer in die Stirn und klappte den Kragen seines Sommermantels hoch, auch wenn das Wetter eigentlich anderes nahelegte. Erst dann bog er auf das Luisenufer. Auf der Straße konnte er kein verdächtiges Fahrzeug entdecken, er näherte sich vorsichtig der Hofeinfahrt. Auch hier schien die Luft rein zu sein, der Hof war menschenleer. Wie meistens an einem Sonntag. Was, wenn sie dir eine Falle stellen, dachte er, als er in das dunkle Treppenhaus trat. In deiner Wohnung sitzen und auf dich warten? Er zog die Walther aus dem Holster und entsicherte sie und hoffte, nicht ausgerechnet jetzt Frau Liebig von oben über den Weg zu laufen oder ihrem Mann.
    Er drehte den Schlüssel, so langsam und so leise wie noch nie. Dann stürmte er mit gezogener Waffe in seine eigene Wohnung, hielt die Walther in jeden Raum. Nichts. Wer immer auch hier gewesen sein mochte, er war schon wieder weg. Aber dass jemand hier gewesen war, das war offensichtlich.
    Obwohl Rath geahnt hatte, was ihn erwartete, war er überrascht, als er sah, wie sie in seiner Wohnung gewütet hatten. Noch schlimmer als in der Spenerstraße. Die Hälfte seines Geschirrs lag zerbrochen auf dem Küchenboden, natürlich auch hier: Alle Bücher und Papiere flatterten auf dem Boden umher, Blumentöpfe umgekippt und in Scherben, der Kleiderschrank komplett leer geräumt, sogar die Matratze aufgeschlitzt und sein Lieblingssessel. Das Schlimmste aber entdeckte er im Wohnzimmer.
    Sie hatten den Plattenschrank ausgeräumt.
    Nicht alle Platten waren zerbrochen, aber eine ganze Menge, darunter einige unersetzliche, die Severin ihm aus den Staaten geschickt hatte. Rath spürte, wie seine Wut ins Unermessliche wuchs. Dafür sollten sie büßen, die Schweine! Tornow und wer alles mit ihm unter einer Decke stecken mochte!
    Er räumte notdürftig ein bisschen auf, fand noch eine heile Tasse und setzte Kaffeewasser auf. In einer halben Stunde müsste er ohnehin Kirie bei den Lennartz’ abholen, die Zeit konnte er auch nutzen, seinen Kopf mit etwas Koffein freimachen und darüber nachdenken, was zu tun war.
    Knapp zwei Stunden später parkte er wieder in der Spenerstraße. Es dämmerte bereits, als er das zweite Mal an diesem Sonntag bei Irmgard Brettschneider klingelte. Zuvor hatte er noch einmal in Charlys Wohnung geschaut, doch dort hatte sich in der Zwischenzeit nichts getan.
    Die Nachbarin, die ihn so oft argwöhnisch gemustert, aber nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte, betrachtete ihn jetzt wie eine Erscheinung.
    »Sie wünschen?«, fragte sie.
    »Guten Abend, Frau Brettschneider«, sagte er. »Könnten Sie mir einen Gefallen tun?«
    Sie guckte, als bitte er um eine Tasse Mehl oder zwei Eier, und Rath sah ein, dass es angebracht war, den Polizeiausweis wirken zu lassen. Er holte das Dokument aus seinem Jackett und hielt es ihr unter die Nase.
    »Rath, Kriminalpolizei«, sagte er. »Es geht um Fräulein Ritter. Sie muss heute Nachmittag ihre Wohnung in Begleitung mehrerer Männer verlassen haben. Können Sie dazu etwas sagen?«
    »Hat sie ... Ist sie ...« Irmgard Brettschneider schienen die richtigen Worte zu fehlen. »Geht es um käufliche Liebe?«, fragte sie schließlich, und Rath wusste nicht, ob er laut loslachen sollte oder seine Wut auslassen an der verhärmten Frau mit der überbordenden Fantasie.
    »Ich bitte Sie! Fräulein Ritter ist Justizangestellte, wussten Sie das nicht?« Er hätte die alte Schachtel lieber richtig zusammengestaucht, aber er wollte sie nicht verärgern.
    Die Brettschneider nickte verwirrt. »Natürlich, natürlich. Ich dachte nur ... die Polizei im Haus. Also ...«
    »Fräulein Ritter ist womöglich das Opfer einer Entführung geworden«, sagte Rath.
    »Was?« Die Brettschneider wirkte erschrocken. »Diese netten Herren? Sie müssen sich irren.«
    »Sie haben Sie gesehen?«
    »Durch den Türspion«, sagte sie entschuldigend. »Zwei gut gekleidete Herren. Ein älterer und ein jüngerer.«
    »Würden Sie die Männer wiedererkennen, wenn ich Ihnen Fotos zeige?«
    Die Brettschneider hob die Schultern. »Ich denke schon«, sagte sie und schaute ihn mit erwartungsvollen Augen an. »Muss ich jetzt mit ins Präsidium?«
    »Das wird fürs Erste nicht nötig sein«, sagte Rath. »Darf ich reinkommen.«
    Sie schaute ihn an, schaute kurz ins Treppenhaus, dann nickte sie und trat beiseite.

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