Goldstein
Erstes müssen wir Goldstein festnehmen.«
Gennat lachte. »Dafür müssten wir ihn zunächst einmal finden.«
»Schon geschehen. Ich weiß mittlerweile, wer ihn versteckt.«
»Haben Sie etwa wieder Informationen zurückgehalten?« Gennat ließ die Kuchengabel fallen und schaute verärgert. »Sie wollen mich also doch bestechen!«
»Keineswegs, Herr Kriminalrat, ich möchte Sie nur für meinen Plan gewinnen. Hören Sie mir noch zehn Minuten zu und entscheiden Sie dann.«
Gennat hörte zu.
Wie erwartet reagierte Marlow nicht sehr erfreut, als Rath ihn darum bat, seine Wachen in und vor Tornows Wohnung zurückzuziehen.
»Er wird seine Strafe bekommen, das garantiere ich Ihnen. Aber wenn wir ihn jetzt unter Druck setzen, gefährden wir ein Menschenleben. Er muss sich in Sicherheit wiegen.«
»Sie verlangen einiges von mir, Herr Kommissar.«
»Ich weiß. Aber wie wäre es, wenn Sie den Rechtsstaat seine Arbeit machen lassen. Keine Selbstjustiz. Der Mann wird seine Strafe bekommen. Versprochen.«
Schließlich sagte Marlow zu. Noch eine Hürde war genommen. Die entscheidende allerdings war die nächste.
In Sankt Norbert traf Rath nur auf Pastor Warszawski, und der zeigte sich nicht gerade kooperationsfreudig.
»Ich habe mir gedacht, dass Sie wiederkommen«, sagte er, »und deswegen entsprechende Vorbereitungen getroffen.«
»Goldstein ist also nicht mehr hier?«
»Natürlich nicht. Nach Ihrem Besuch gestern.«
»Wo ist er?«
»Warum sollte ich Ihnen das sagen? Was meinen Sie, aus welchem Grund er eben nicht mehr hier ist?«
»Kann es sein, dass Sie mir nicht vertrauen?«
»Ich habe Gottvertrauen, kein Menschenvertrauen. Sagen Sie mir, wo er Sie erreichen kann. Dann werde ich alles Weitere in die Wege leiten.«
»Verdammt, so viel Zeit habe ich nicht! Ein Menschenleben steht auf dem Spiel.«
»Das müssen Sie mir erst einmal erklären.«
Und Rath erklärte. Es war kein sonderlich originelles Versteck, aber wahrscheinlich hätten sie Goldstein ohne die Hilfe der katholischen Kirche dort niemals gefunden. Pastor Warszawski hatte darauf bestanden, Rath persönlich zu begleiten. Ein letzter Rest Misstrauen war dem Priester geblieben. Sie waren in den Südwesten gefahren, immer die Reichsstraße 1 hinunter, und kurz vor Zehlendorf schließlich links abgebogen. In einer grünen, ruhigen Straße ließ der Pastor Rath endlich anhalten. Auf der einen Seite standen nette Häuschen mit Garten, auf der anderen erstreckte sich eine endlose grüne Hecke.
»Die Kolonie Abendruh«, erklärte Warszawski mit Blick auf die Hecke. »Ich habe hier einen Schrebergarten.«
Rath hatte den Buick vor einem hübschen Einfamilienhaus geparkt, so eines, von dem er immer träumte und das er sich nie würde leisten können – jedenfalls nicht, ohne seine Eltern zu beerben. Die Hecke auf der anderen Straßenseite war in regelmäßigen Abständen von Einfahrten unterbrochen; dahinter erkannte er Bäume, Sträucher, Fahnenmasten und die Dächer von Laubenhütten. Das klassische Versteck in einer Stadt wie Berlin. Dort jemanden aufzuspüren war so gut wie unmöglich, wenn man nicht wenigstens einen kleinen Anhaltspunkt hatte oder ein Anwohner irgendetwas Auffälliges beobachtet hatte.
Die Kolonie war riesig. Rath folgte dem Pastor eine Weile über einen schnurgerade gezogenen Weg, beidseitig flankiert von Hecken. Nachdem sie ein paarmal abgebogen waren, immer im rechten Winkel, mal rechts, mal links, fühlte Rath sich bald wie in einem jener Irrgärten in barocken Schlossparks. Irgendwann blieb Warszawski abrupt stehen.
»Hier ist es«, sagte der Priester. Er schien sich nicht wohlzufühlen in seiner Haut.
113
K napp zwei Stunden später fuhren Polizeiwagen in der Elmshorner Straße vor; ein Lastwagen, vier grüne Opel von der Fahrbereitschaft und zuletzt das schwarze Mordauto. Uniformierte sprangen von der Pritsche des Lasters und rückten über drei parallele Wege in die Schrebergartenkolonie ein. Aus den Opeln stiegen Kriminalbeamte in Zivil, aus dem Mordauto wälzte sich Ernst Gennat, bevor Wilhelm Böhm dem Kriminalrat folgen konnte.
Auf ihrem Weg in den Westen waren sie mehrfach in den Berufsverkehr geraten. Und die Signalhörner hatten sie nicht benutzt, um nicht zu sehr aufzufallen. Rath fluchte, jede Stunde, die Charly länger in der Gewalt von Tornow und seinen Leuten blieb, war eine Stunde zu viel. Rath hatte die ganze Fahrt über neben Sebastian Tornow sitzen müssen, das hatte sich nicht vermeiden lassen. Immer noch
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