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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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gesagt. »Und dass die Sache Eingang in Ihre Personalakte finden wird.« Am schlimmsten aber hatte sie sein scheinheiliger Versuch getroffen, sie zu trösten, mit seltsam sanfter Stimme, nachdem er eine Viertelstunde gebrüllt und sich ausgetobt hatte. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf«, hatte er gesagt, als sie bereits in der Tür stand, und seine Stimme hatte getrieft von väterlich gut meinendem Verständnis: »Tun Sie sich das hier nicht länger an, das ist nichts für Sie. – Sie sind eine Frau! Suchen Sie sich einen netten jungen Mann und heiraten Sie!«
    Charly hatte nichts dazu sagen können, keinen Ton. Plötzlich hatte sie sich wieder in einem Kölner Café sitzen sehen und eine andere verständnisvolle Stimme gehört. Wenn Sie erst verheiratet sind, dann müssen Sie ja auch nicht mehr arbeiten. Wie damals hatte sie auch jetzt nicht sprechen können.
    Aber handeln konnte sie noch. Und sie dachte nicht daran, den Weisungen Webers zu folgen. Sie war in die Elektrische gestiegen, aber nicht nach Hause gefahren, sondern nur zur Frankfurter Allee und von dort mit der Ringbahn zwei Bahnhöfe weiter, war in die Roederstraße gegangen zur alten Achsenfabrik und durch ein Loch im rostigen Zaun auf das verlassene Firmengelände geklettert. Versuchen musste sie es doch wenigstens! Auch wenn sie kaum glauben konnte, dass sich das Mädchen ausgerechnet hierhin geflüchtet hatte. Selbst wenn es zu den Jugendlichen gehören sollte, die hier ihre Nächte verbrachten.
    Die ganze erste Etage hatte Charly abgesucht, dann auch die zweite, hatte dort oben sogar einiges entdeckt, Wachsreste, leere Flaschen, einen alten verbeulten Löffel und vor allem die Spuren ausgetretener Zigaretten, ohne dass sie auch nur eine einzige Kippe gefunden hätte, geschweige denn einen der Menschen, die diese Kippen ausgetreten hatten. Der Nachmittag war einfach die falsche Tageszeit, vielleicht sollte sie morgens früh noch einmal wiederkommen, wenn hier gerade alles erwachte. Und dann am besten gleich Gereon mitnehmen. Ganz geheuer war ihr nicht, allein in dieser Gegend, in dieser verlassenen Fabrik; Charly ging zurück zu der Betontreppe mit den abgewetzten Stahlkanten und stieg sie langsam wieder hinab, Stufe für Stufe.
    Sie fuhr zusammen. Wie aus dem Nichts war ein Junge vor ihr aufgetaucht, unten am Fuß der Treppe, ein breiter Kerl mit kantigem Schädel und schwarzgeränderten Fingernägeln. Im ersten Moment schien er genauso überrascht zu sein wie sie und glotzte blöd, dann hatte er seine Gesichtsmuskeln im Griff. Was ihn jedoch nicht viel intelligenter aussehen ließ. Eines jedenfalls schien er zu wissen: wie furchteinflößend er aussah, obwohl er höchstens siebzehn sein mochte. Er pumpte sich auf und machte auf starker Mann, verschränkte die Arme, um sie muskulöser aussehen zu lassen. Aber da waren auch so schon eine Menge Muskeln. Charly gab sich Mühe, unbeeindruckt zu bleiben.
    »Kannste nicht lesen?«, sagte der Junge, als er sich endlich in Positur gestellt hatte, »hier ist betreten verboten.«
    »Ich wollte ja auch gerade wieder gehen«, meinte Charly und wunderte sich, wie dünn ihre Stimme klang.
    Wie überaus geistreich und schlagfertig, Fräulein Ritter, dachte sie, fällt dir nichts Besseres ein, blöde Kuh? So beeindruckst du den bestimmt nicht!
    »Frauen, die gehen, mag ich gar nicht, ich mag lieber welche, die kommen.«
    Sein Grinsen beseitigte jeden Zweifel daran, dass er den letzten Satz vielleicht doch nicht anzüglich gemeint haben könnte. V erdammt, dachte Charly, warum musstest du auch unbedingt in diese Bruchbude spazieren, mutterseelenallein? Weil hier nur Kinderrumlaufen, mit denen du schon fertig wirst? Na bitte, hier hast du eins von deinen Kindern!
    »Ich suche jemanden«, sagte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen, »ein Mädchen. Ungefähr einssiebzig groß, dunkelblond, schlank, an der linken Hand ...«
    »Was soll denn das? Bist du ’ne Lesbe?« Der Junge baute sich vor ihr auf. »Oder ist dir die Tochter weggelaufen. Beschreib sie mal ein bisschen genauer. Vielleicht hab ich sie ja schon gefickt.«
    Charly verspürte ein immer größeres Verlangen, diesem unflätigen Kerl ein paar in die hässliche Visage zu semmeln. Aber zwecks Kindesmisshandlung war sie eigentlich nicht hierhergekommen, und außerdem sah er wirklich kräftig aus. Bangemachen gilt nicht, dachte sie, das ist immer noch ein Kind, ein Rotzlöffel ohne Manieren.
    »Sieht so aus, als hätte man vergessen, dich zu erziehen«,

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