Goldstein
ein- und ausgingen – diejenigen, die im Polizeipräsidium arbeiteten, mieden den Publikumseingang in der Regel. Charly hatte eigentlich überhaupt nicht viel gesagt am Telefon, nur dass sie ihn am Alex treffen müsse und seine Hilfe brauche.
Immer wieder musste Rath an der Leine ziehen, weil Kirie sich von allem und jedem ablenken ließ, an jeder Ecke schnupperte und fremden Hunden hinterherschaute. Schon heute Mittag, als Gräf ihn abgelöst hatte und Rath zu einem größeren Spaziergang mit dem Hund aufgebrochen war, hatte er einen zudringlichen Boxerrüden abwehren müssen.
Das war dann auch schon der aufregendste Zwischenfall des Tages gewesen. Die Schicht im Excelsior war ruhig verlaufen. Goldstein hatte es aufgegeben, seinen Aufpassern entkommen zu wollen; er war in seiner Suite verschwunden und hatte sich nicht ein einziges Mal mehr blicken lassen, hatte sich sogar das Mittagessen aufs Zimmer bringen lassen.
Kirie hatte Rath so in Anspruch genommen, dass er den auffälligen Wagen, der direkt an den Stadtbahnbögen parkte, erst jetzt bemerkte. Aus der Fahrertür stieg ein schlanker Mann, dessen Erscheinung Aufsehen erregte: zum einen wegen seiner schwarzen, glatten Haare, die er zu einem langen Zopf gebunden hatte, zum anderen wegen seiner hochliegenden Wangenknochen und eines Paars undurchdringlich blickender, dunkler, schmaler Augen. Rath hatte den Mann seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, aber er erkannte ihn sofort. Liang. Liang Kuen-Yao, der Schatten von Johann Marlow, wie immer in einem maßgeschneiderten Anzug.
Was zum Teufel machte Marlows Chinese hier, was wollte er im Polizeipräsidium? Liang ging zielstrebig auf den Haupteingang zu, vor dem Rath stand, aber erst als der Chinese zur Begrüßung an seine Hutkrempe tippte, merkte Rath, dass er selbst das Ziel war.
»Herr Kommissar«, sagte Liang, »kommen Sie doch bitte mit. Man möchte sich mit Ihnen unterhalten.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging zurück zum Auto.
Rath steckte die Zigaretten wieder ein, die er gerade aus der Manteltasche gezogen hatte, und schaute sich um. Als er sicher war, dass wirklich niemand in der Nähe war, der ihn kannte, vor allem Charly nicht, folgte er dem Mann. Das Auto, das da frisch gewachst zwischen einem staubigen Opel und einem neuen Ford an den Stadtbahnbögen parkte, hatte die Farbe eines guten Rotweins und sah aus, als käme es geradewegs aus Hollywood. Selbst Hindenburgs Mercedes hätte am Alex kaum mehr Aufmerksamkeit erregen können. Ein paar Jungen bestaunten den Wagen aus respektvoller Entfernung. Rath schnappte einige ihrer Worte auf, sie diskutierten gerade die Modellfrage. »Ein Chevy ist das.« – »Blödsinn, ein Buick Master Six.« – »Jedenfalls ein Ami.« Tatsächlich war es ein amerikanischer Wagen, allerdings ein Duesenberg, im Berliner Straßenverkehr ungefähr so häufig anzutreffen wie Pinguine in der Sahara. Liang öffnete die Tür, und Kirie sprang zuRaths großer Überraschung sofort in den Wagenfond. Bevor er dem Hund folgte, vergewisserte sich Rath noch einmal, dass Charly nicht gerade irgendwo um die Ecke bog. Kirie hockte in dem geräumigen Fußraum vor der Rückbank und ließ sich von einem Mann streicheln, der ihr einen Fleischklops ins Maul steckte.
»Braver Hund«, sagte Johann Marlow.
»Das muss eine Boulette von Aschinger sein«, meinte Rath. »Die würde der Hund sogar dem Teufel aus der Hand fressen.«
»Ich hoffe doch sehr, das soll keine Anspielung sein«, sagte Marlow. Er sah so aus, wie Rath ihn in Erinnerung hatte: ein wenig untersetzt, aber kräftig, der leinene Sommeranzug maßgeschneidert. »Schön, Sie mal wieder zu sehen, Herr Kommissar«, sagte er.
»Bleibt mir denn anderes übrig?«
»Freut mich, dass Sie die Gegebenheiten so realistisch einschätzen.«
Rath fühlte sich, als wäre er gerade in seinen eigenen Albtraum geraten. Er hatte mit dieser Begegnung gerechnet, er hatte gewusst, irgendwann würde Marlow wieder auftauchen. Und dennoch hatte er dieses Wissen beiseitegeschoben, hatte beinah schon gehofft, die Sache mit Marlow sei endlich erledigt.
Aber natürlich war sie das nicht.
Johann Marlow, genannt Doktor Mabuse oder einfach Doktor M. – ganz zu Anfang seiner Berliner Zeit hatte Rath sich einmal mit dem Mann eingelassen, um einen Fall zu lösen. Mit Erfolg. Und mit Folgen.
Am Anfang war alles prima gelaufen; Rath hatte seinen Mörder bekommen, und Marlow das Gold, hinter dem er her war. Und dann hatte einige Monate
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