Goldstein
Wer hat den wohl bestellt? Wer kann so einen bezahlen? Die Nordpiraten bestimmt nicht. Vielleicht solltet ihr den feinen Herren von der Berolina mal etwas mehr auf den Zahn fühlen.«
»Was meinst du, was ich gerade getan habe?« Rath deutete auf die Kneipe. »Dort drinnen traut man den Nordpiraten einige Schweinereien zu. Jedenfalls solltest du besser aufpassen, dass keiner von denen merkt, dass du hier draußen rumlungerst.« Rath öffnete die Tür. »Und noch was. Sag deinem Boss, dass wir hier in Berlin keinen Unterweltkrieg wollen. Sag ihm, dass er Frieden halten soll, sonst sitzt er schneller wieder im Knast, als er gucken kann.«
33
H inter den Lichtkegeln der Laternen war alles schwarz und dunkel. Der Wind raschelte in den Bäumen, und der Kies knirschte unter seinen Füßen. Er begegnete keiner Menschenseele. Fast glaubte er schon, der einzige Mensch in dieser nächtlichen Wildnis zu sein, da hörte er den Schrei.
Einen Schmerzensschrei.
Er lauschte, doch das Rattern eines Zuges auf der nahen Bahntrasse übertönte alles andere, selbst das Rauschen in den Bäumen. Goldstein ging blindlings in die Richtung, aus der er glaubte, den Schrei gehört zu haben. Und da sah er sie.
Auf einer kleinen Lichtung standen sie, alle vier, den Schwarzhut in die Mitte genommen. Goldstein erkannte ihre Konturen vor dem Lichtkegel einer Laterne und ihre langen Schatten auf dem Gras. Der Jude rappelte sich gerade vom Rasen hoch.
»Was lasst ihr einen alten Mann nicht in Frieden seiner Wege gehen, ihr Schgotzim«, schimpfte er.
»Sprich Deutsch, wenn du mit Deutschen redest! Das ist Deutschland hier!«
Einer der drei dünneren Braunhemden machte einen Schritt nach vorne und trat zu, wieder ging der Jude zu Boden. Der alte Mann keuchte und blieb hocken, schnappte nach Luft. Der Tritt schien seine Magengrube getroffen zu haben. Ein zweiter traf ihn unterm Kinn, der Alte kippte nach hinten, sein Hut kullerte aufs Gras.
Goldstein trat vom Kiesweg auf den weichen Rasen; nun waren seine Schritte nicht mehr zu hören. Die Männer waren so mit ihrem Opfer beschäftigt, dass sie den Neuankömmling gar nicht bemerkten. Der Dicke nestelte an seinem Hosenschlitz.
»Macht mal’n bisschen Platz Jungs, ich hab grad so ’nen Harndrang.«
Die anderen lachten und traten beiseite. Der Jude am Boden rührte sich nicht, nur ein Stöhnen war zu hören. Der Dicke hatte gerade seinen Schwanz aus der Hose geholt, da erhob Goldstein seine Stimme. Und freute sich, keine Rücksicht in der Wortwahl mehr nehmen zu müssen. Jetzt und hier konnten sie ihre Prügelei haben!
»Na, ihr Kackhemden«, rief er über die Wiese. »Wer hat euch denn auf die Uniformen geschissen, dass sie so braun geworden sind?«
Alle vier drehten sich um, nur der alte Mann war mit sich selbst beschäftigt. Der großmäulige Dicke hielt seinen Schwanz in der Hand und glotzte dämlich. Mehr Schreck als Überraschung war auf ihren Gesichtern zu lesen, doch die Mienen entspannten sich gleich wieder.
»Ich glaub’s nicht«, sagte Rotgesicht, der immer noch mit offener Hose dastand. »Ist da einer lebensmüde?«
»Das ist das Großmaul von vorhin!«
»Ich glaub, das is’n Ausländer, der weiß nicht, mit wem er’s zu tun hat, der braucht ’ne Lektion.«
»Ich sehe genau, mit wem ich es zu tun habe: feige Mamzerim, die zu viert auf einen alten Mann losgehen. Und von einem weiß ich sogar, dass er ’ne dicke Wampe und ’nen kleinen Schmock hat. Nicht wahr, Rotgesicht. Pack deinen Kleinen mal schnell wieder ein, bevor du ihn im Dunkeln nicht wiederfindest!«
Der Dicke stopfte seinen Schwanz zurück in den Hosenschlitz und fummelte hektisch an den Knöpfen. Der alte Jude hatte sich wieder aufgerappelt, kniete auf der Wiese und schien zu überlegen, ob er kotzen sollte oder nicht. Die vier hatten ihre Aufmerksamkeit ganz und gar Abraham Goldstein zugewandt.
»Bist am Ende auch’n Jude, was? So wie du redest!«
»Ist doch scheißegal, was er ist, Stefan, so oder so braucht er was auf’s Maul.«
»So ist das hier: Wer ’ne dicke Lippe riskiert, der hat ganz schnell auch ’ne dicke Lippe!«
Drei Männer waren näher gekommen, der Anführer hielt sich immer noch im Hintergrund und sortierte sein Gemächt, das er wohl etwas zu eilig eingepackt hatte. Der Mann, den der Dicke Stefan genannt hatte, baute sich vor Goldstein auf und musterte ihn. »Siehst überhaupt nicht jüdisch aus«, sagte er. »Keine Ahnung, warum du dich hier einmischst, jedenfalls war das ein
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