Goldstein
in die Brust getroffen, bricht zusammen und stirbt kurz darauf.
»Sie wissen, meine Herren«, sagte Weiß und klang mit einem Mal sehr feierlich, »Oberwachtmeister Emil Kuhfeld ist nicht der erste und nicht der einzige Polizeibeamte, der in Erfüllung unseres schwierigen Berufes sein Leben lassen musste, und er wird, so steht es zu befürchten, wohl auch nicht der letzte sein. Und ich denke, ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass seine Kollegen ihn nicht vergessen werden. Dass wir ihn nicht vergessen werden.« Er machte eine Pause und schaute in die Runde, in betroffene, ernsthafte Gesichter. »Meine Herren«, fuhr er fort, »ich darf Sie nun bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und des toten Kollegen in einer Schweigeminute zu gedenken.«
Hunderte Stuhlbeine schrammten über den Boden, dann war es still, beinah unheimlich still im Saal. Diese Schweigeminute, das spürte wohl jeder, war keine hohle, sinnleere Zeremonie. Das hier ging jeden von ihnen persönlich an. Da draußen in dieser Stadt gab es Leute, die behandelten Polizisten wie Freiwild. Die vielbeschworene und -gescholtene Überheblichkeit der Kriminalpolizei gegenüber der Schutzpolizei, in vielen Fällen sicherlich mehr als nur ein Vorurteil, in diesem Moment war nichts davon zu spüren. Ging es um die Stimmung draußen in der Stadt, um die Feindseligkeit, die ihnen immer häufiger und immer brutaler entgegenschlug, saßen sie alle im selben Boot, ob sie nun Uniform trugen oder Zivil. Nur dass die Uniformträger ihre Haut viel offener zu Markte trugen. Rath hatte es noch nie zur Schutzpolizei gezogen; Uniformen waren ihm seit jeher ein Greuel. Und weniger denn je verspürte er in diesen Zeiten den Drang dazu.
Mit einem »Ich danke Ihnen!« beendete Weiß die Schweigeminute, und es wurde wieder lauter im Saal. Nun erst informierte er sie über den Stand der Ermittlungen. Erste Untersuchungen der Abteilung IA hatten ergeben, die Schüsse gegen die Polizei seien von zentraler kommunistischer Stelle aus gesteuert worden, und Weiß hatte aus diesem Grunde bereits Hausdurchsuchungen angeordnet. Das Spartakiadenverbot müsse nun mit aller Härte durchgesetzt werden. Dieses kommunistische Sportfest hatte Weißschon vor ein paar Tagen untersagt, genauso wie ein für denselben Tag geplantes SA-Sportfest. In seinem Einsatz gegen die gewalttätigen sogenannten Politiker, die Deutschland mit ihren paramilitärischen Truppen an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht hatten, war Bernhard Weiß, der die IA, die Politische Polizei, in früheren Jahren selbst geleitet hatte, konsequent wie kein zweiter preußischer Beamter.
»Lassen Sie uns nun zu etwas Erfreulicherem kommen«, meinte der Vize schließlich und lächelte zum ersten Mal, seit er dort oben auf dem Podium stand. »Der ursprüngliche Grund, warum ich Sie heute Morgen zusammengerufen habe, ist nämlich ein anderer. Das heißt, eigentlich sind es mehrere Gründe, genauer gesagt: die Männer, die hier direkt vor mir sitzen.«
Weiß machte eine Pause, und es wurde unruhig im Saal, weil zu viele versuchten zu erspähen, wer denn da wohl in der ersten Reihe sitzen mochte. Auch Rath machte seinen Hals lang, konnte aber nichts erkennen, nur die Körpermassen von Ernst Gennat, der ziemlich weit vorne saß, in der dritten oder vierten Reihe.
»Es sind Ihre neuen Kollegen«, fuhr Weiß fort. »Die Kriminalpolizei wird durch ein paar Kommissaranwärter aufgestockt. Trotz des Sparzwangs unserer Regierung unternehmen wir alles in unserer Macht Stehende, um eine personelle Ausdünnung der Polizei zu vermeiden.«
»Und was tun Sie, um die finanzielle Ausdünnung zu vermeiden?«, brüllte ein Zwischenrufer in das Gemurmel, das den Saal nun erfüllte. Alles drehte sich um, doch war der Urheber nicht zu orten. Niemand wagte zu lachen. Weiß blieb ruhig und ließ seinen Blick erst einmal durch den Saal schweifen, bevor er weitersprach.
»Ich sehe in überwiegend gutgenährte Gesichter«, sagte er dann. »Meines Wissens ist noch kein Kriminalbeamter in diesem Jahr verhungert. Sollten Sie tatsächlich darben und sich die Kantine nicht mehr leisten können, kommen Sie doch in mein Büro. Eine Stulle habe ich immer übrig. Solange Sie nur Kriminalrat Gennat nicht an die Kuchenvorräte gehen!« Ein paar Kollegen lachten, aber längst nicht alle. »Zurück zu den Kommissaranwärtern«, sagte Weiß. »Ich darf die Herren einmal aufs Podium bitten, damit Sie alle hier die neuen Gesichter sehen und sich
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