Goldstein
im Verbrechermilieu?« Rath horchte auf. »Was meinen Sie«, fragte er Gennat, »wäre es wohl möglich, dass ich an der Morgenbesprechung der Inspektion A teilnehme? Nur um auf dem Laufenden zu bleiben, falls ich in den nächsten Tagen zurückkommen sollte mit meinen Leuten.«
Gennat schaute ihm in die Augen, als wolle er dort Raths tiefere Beweggründe entdecken, die wahren Gründe für sein Interesse. Die Gesichtszüge des Buddha wirkten immer ein wenig schläfrig, aber seine Augen waren derart wach, sein Blick derart intensiv, dass Rath unwillkürlich blinzeln musste. »Jederzeit«, sagte Gennat dann, »falls Sie das mit Ihren derzeitigen Aufgaben vereinbaren können. Terminlich, meine ich.«
Das hörte sich nicht so an, als überlege Gennat ernsthaft, seine Leute von Weiß zurückzufordern. Rath verbarg seine Enttäuschung und nickte. »Natürlich«, sagte er.
Kurz darauf saß er mitten unter den alten Kollegen im kleinen Konferenzsaal, und alles war wie immer. Nur dass Gräf fehlte. Und Henning und Czerwinski natürlich auch, die durften sich gerade in ihren Betten von der Nachtschicht erholen. Rath hörte nur mit halbem Ohr zu, als Kriminalassistent Lange belangloses Zeug zu dem toten Jungen vom KaDeWe erzählte, dessen Identität sie nun immerhin hatten feststellen können, und Kriminalassistent Mertens die gestrige Schießerei im Osten rekapitulierte, bei der die Abteilung IA die Ermittlungen leitete und die Inspektion A nur für Hilfsdienste eingespannt war. Handlanger für die Politische Polizei, etwas Schlimmeres konnte es für einen Kriminalpolizisten nicht geben. Mertens machte gute Miene zum bösen Spiel, etwas anderes blieb ihm bei seinem Dienstrang auch gar nicht übrig; der Kriminalassistent konnte gleichwohl seine Genugtuung darüber nicht verbergen, dass es der IA trotz des Aufwandes, den sie betrieb, immer noch nicht gelungen war, den Todesschützen zu ermitteln. Dass gezielt geschossen worden war, natürlich von einem Kommunisten, hielt Mertens, auch wenn er das nicht explizit sagte, wohl eher für Wunschdenken der Politischen als für eine Tatsache.
Dann trat Böhm aufs Podium und bekam Raths ungeteilte Aufmerksamkeit. Vom Verschwinden des roten Hugo hatte Böhm offensichtlich noch nichts erfahren, er berichtete nur, dass Hugo Lenz, der auch auf seiner Vernehmungsliste stand, bislang nochnicht angetroffen werden konnte, weder zuhause noch in seiner Stammkneipe. Nicht die Mulackritze , wie Rath immer gedacht hatte, sondern die Amor-Diele in Friedrichshain. Die Kneipe , die Rath gestern noch besucht hatte. Verdammt! Nicht auszudenken, wenn er bei dieser Gelegenheit einem von Böhms Leuten über den Weg gelaufen wäre!
Ob ein Opfer der Piraten oder nicht, jedenfalls war Eberhard Kallweit, wie der Berolina-Hehler hieß, gestern tot in seinem Laden gefunden worden, wahrscheinlich hatte er da schon ein bis zwei Tage gelegen. Die Kasse war leer, ansonsten hatten die Täter überraschend viele Wertsachen, darunter hochwertige Armbanduhren, einfach liegen lassen. Auch deswegen hielt Böhm den Raubmord für vorgetäuscht. Zumal das Opfer vor seinem Tod brutal gequält worden war. So brutal, dass es selbst einem der Folterknechte offensichtlich zu viel geworden war: Neben dem Toten hatten die Spurensicherer eine Lache Erbrochenes gefunden, das definitiv nicht von Kallweit stammte, wie Doktor Schwartz nach der Obduktion bestätigt hatte. Ansonsten hatte der Gerichtsmediziner zahlreiche Brüche und Platzwunden festgestellt, und schließlich die inneren Blutungen, an denen das Opfer gestorben war.
Dann referierte Böhm noch kurz die Hintergründe des derzeitigen Unterweltkrieges. Noch war es kein offener, noch hatte es keine Toten gegeben, jedenfalls keine eindeutigen Hinrichtungen, eher Betriebsunfälle, ansonsten aber waren Nordpiraten und Mitglieder der Berolina in den vergangenen zwei Wochen immer häufiger aneinandergeraten. »Wir vermuten, dass das mit der Entlassung von Rudolf Höller und Hermann Lapke zusammenhängt, die wegen versuchten Bankeinbruchs je zwei Jahre in Tegel abgerissen haben«, sagte Böhm. »Sie wollen die Nordpiraten, die nach ihrer Inhaftierung beinahe von der Bildfläche verschwunden waren, offensichtlich wieder zur alten Größe führen.« Seither jedenfalls nahmen die Übergriffe zu. Drogenhändler der Berolina wurden auf offener Straße verprügelt, in Lokalen und Geschäften, die unter dem offiziellen Schutz des Ringvereins standen, das Mobiliar zertrümmert und die
Weitere Kostenlose Bücher