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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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weiteren Opfer dessen aus, was allzu viele Leute in jüngster Zeit mit Politik verwechselten.
    »Wer hat denn die Leiche gefunden?«, fragte Böhm, und Christel Temme, die ihren Block bereits gezückt hatte, kritzelte los. Die Stenotypistin war bekannt dafür, alles mitzuschreiben, selbst wenn jemand nur nach der Uhrzeit fragte.
    Der Schupo hob die schweren Schultern. »Anonymer Anruf bei uns im Revier«, sagte er.
    »Welches Revier noch gleich?«
    »Melde gehorsamst: das fünfzigste, Herr Oberkommissar.«
    Böhm nickte und schaute auf die Leiche. »Und? Was meinen Sie?«, fragte er den Oberwachtmeister, den diese direkte Frage sichtlich überrumpelte. Schließlich war er nicht zum Denken hier, so sah er das offensichtlich, sondern zum Aufpassen und Meldung erstatten.
    »Nun«, sagte Rometsch, »ich würde sagen, könnte einer von der Rotfront gewesen sein.«
    Böhm nickte. »Obwohl die verboten ist.«
    »Jawohl, Herr Oberkommissar. Obwohl die verboten ist. Aber wir wissen ja, dass die Roten trotzdem weitermachen.«
    »Jetzt lassense man das dauernde Strammstehen. Sind hier doch nicht auf dem Kasernenhof.«
    »Jawohl, Herr Oberkommissar!«
    Oberwachtmeister Rometsch vom 50. Revier strafte seine Worte Lügen und drückte das Kreuz noch einmal besonders zackig durch. Böhm schüttelte den Kopf.
    Endlich kam auch Kriminalassistent Grabowski um die Ecke, der noch den Fotoapparat aus dem Mordauto geholt hatte, und klappte das Stativ auseinander. Er brauchte nicht lange, bis die Kamera einsatzbereit war. »Schwierige Perspektive«, sagte er. »Hätte der Mörder ihn nicht an der Kirche liegen lassen können?«
    Böhm stutzte. Erst jetzt sah er die Blutlache an der Kirchenmauer, genau dort, wo das Langhaus auf das Querschiff traf, eine dunkle Ecke. Guter Beobachter, der Kriminalassistent. Der Oberkommissar grunzte anerkennend. Das war’s auch schon. Man durfte diesejungen Leute nicht zu sehr loben, sonst bekamen sie schnell Allüren. Böhm zeigte auf den rechten Fuß des Toten. Der Schuh wirkte wie aufgeplatzt, aus einem Einschussloch quoll eine bräunlichrote, unappetitliche Masse, das Blut war bis auf die Gamaschen gespritzt. »Vergessen Sie nicht, ein paar Großaufnahmen von diesem Fuß zu machen!«
    Grabowski guckte zerknirscht. Aber er nickte und machte sich an die Arbeit.
    »Ah, Böhm, da sind Sie ja!« Kronberg vom ED war herangekommen und wedelte mit einem Ausweis, auf dessen Vorderseite ein Hakenkreuz prangte. Ein SA-Mitgliedsausweis, dessen Passfoto das Gesicht des Toten zeigte. »Der Mann heißt Gerhard Kubicki«, sagte der Chef der Spurensicherer.
    »Und war offensichtlich ein Nazi.«
    Kronberg nickte. »Genauer gesagt: SA-Rottenführer.«
    »Ich komme mit diesen seltsamen Nazi-Dienstgraden immer durcheinander – ist das ein hohes Tier?«
    »Eher ein mittelhohes.«
    »Also ein mittelhoher Nazi.« Böhm zeigte auf die Blutlache im Schatten der Kirchenmauer. »Scheint von der Kirche hierhin geschleppt worden zu sein, nicht wahr?«
    Der ED-Chef nickte. »Womöglich, um die Leiche zu verstecken«, sagte er. »Aber das ist nicht die einzige Strecke, die der Mann zurückgelegt hat. Kommen Sie mit!«
    Böhm folgte Kronberg zu einer Fußspur, die ein Spurensicherer gerade mit frisch angerührtem Gips ausgoss.
    »Fußspuren«, sagte Kronberg überflüssigerweise, »eine davon haben wir dem Opfer bereits zuordnen können; er hat ein Bein nachgezogen.«
    »Kein Wunder, bei solch einer Verletzung.«
    »Wie es aussieht, hat er es noch aus eigenen Kräften bis zur Kirche geschafft. Wir haben seine Spur bis zu einer Wiese weiter hinten im Park zurückverfolgen können.« Kronberg zog eine Blechdose aus seinem Kittel und öffnete sie. »Und das ...«, sagte er, so theatralisch, als hole er gerade im Wintergarten einen Hasen aus dem Zylinder, »... haben wir auf dieser Wiese gefunden.«
    In der Beweismitteldose lag ein blut- und dreckverschmiertes Projektil.
    Böhm nickte anerkennend. »Vor der ballistischen Untersuchung sollten Sie das in die Gerichtsmedizin bringen und die Blutgruppe untersuchen lassen«, meinte er. »Wir müssen sichergehen, ob es auch wirklich aus der Mordwaffe stammt.«
    Kronberg schüttelte den Kopf. »Die Mordwaffe war keine Pistole«, sagte er. Dem Spurensicherer war die Freude anzumerken, den Mordermittler schon wieder auf die Folter spannen zu können. Die Kunstpause schien noch länger zu werden als vorhin, und Böhm war kurz davor, die Geduld zu verlieren. Er musste böse geguckt haben, jedenfalls

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