Goldstück: Roman (German Edition)
nicht, dass da noch eine zweite Flasche ist?« Liebe Kiki, solltest du jetzt im Himmel die Augen verdrehen, denk dran: Es ist alles deine Schuld!
Zwei Stunden später haben wir tatsächlich beide Flaschen ausgetrunken. Ich fühle mich ziemlich angeheitert, aber im Gegensatz zu der dumpfen Taubheit der vergangenen Wochen irgendwie … richtig gut.
»Danke, Stefan«, sage ich, als ich ihn an der Haustür verabschiede, nachdem er die Kartons, die zu Kikis Eltern, zur Altkleidersammlung und zum Sperrmüll sollen, erst einmal vorne in den Büroräumen untergestellt hat. Eigentlich wollte er sie gleich mitnehmen, aber nach unserer Schampus-Sause waren wir uns einig, dass er besser nicht mehr Auto fährt, sondern die Sachen in den nächsten Tagen abholt. »Hat mir wirklich sehr geholfen, dass du hier warst und mit mir zusammen alles in Angriff genommen hast.«
»Mir hat’s auch geholfen«, erwidert er und lächelt mich an. »Irgendwie fällt es mir, glaube ich, jetzt viel, viel leichter, von Kiki Abschied zu nehmen.«
»Ja, geht mir ähnlich.« Denn wenn ich ehrlich bin, hatte ich das bisher noch gar nicht getan. Mich mit dem Gedanken abgefunden, dass meine Cousine nicht mehr da ist. Erst jetzt, nachdem wir ihre Sachen ausgeräumt haben, spüre ich, dass ich mit der eigentlichen Trauerarbeit beginnen kann. »Würde mich
freuen, wenn wir demnächst mal wieder was miteinander machen«, meine ich.
»Klar, lass uns in jedem Fall in Kontakt bleiben. Und wenn irgendwas ist – du hast ja meine Nummer.«
»Genau. Und du meine.« Einen Moment lang stehen wir noch unschlüssig voreinander herum, dann verabschieden wir uns mit Küsschen links und Küsschen rechts auf die Wange.
»Okay, ich geh dann mal.« Mit diesen Worten wendet Stefan sich zum Gehen. Ich habe schon fast die Tür geschlossen, als er noch einmal nach mir ruft. »Ach, Maike!«
»Ja?« Ich mache die Tür wieder auf.
»Ich hab hier noch was für dich, das hätte ich jetzt fast vergessen.« Er nestelt an seiner rechten Hosentasche. »Hab ich vorhin, als du duschen warst, unter Kikis Bett gefunden.« Zum Vorschein kommt etwas Glitzerndes – das Bettelarmband! »Muss da gelandet sein, als du es … na, du weißt schon.« Er streckt es mir hin.
»Danke«, sage ich, nehme es entgegen und betrachte es eine Weile nachdenklich. »Mein Wunscharmband«, murmele ich leise.
»Ich war dabei, als Kiki es für dich ausgesucht hat«, erzählt Stefan. »Und ich denke, es würde sie sehr freuen, wenn du es wieder trägst.«
»Natürlich tue ich das!« Mit diesen Worten streife ich es mir übers Handgelenk. Gedankenverloren fahre ich mit der anderen Hand über das kleine Goldstück, das daran baumelt. »Danke.«
Wir winken uns noch einmal zu, dann schließe ich die Tür und gehe zurück in die Wohnung.
Mehr noch werde ich tun, als es nur zu tragen, denke ich, als ich noch einmal langsam durch Kikis Zimmer gehe. Ab sofort werde ich alles dafür tun, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen: mein Leben in die Hand nehmen und mich nicht mehr als Opfer fühlen. Gleich morgen rufe ich Roger an und sage ihm, dass
ich wieder zur Arbeit komme. Und dann werde ich zusehen, dass alles wieder auf die Reihe kommt. Nein, dass zum ersten Mal in meinem Leben etwas auf die Reihe kommt. Schluss mit den Rückschlägen und dem Selbstmitleid, ab morgen wird alles anders! Das bin ich meiner Cousine schuldig.
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11. Kapitel
A ls ich am nächsten Tag das erste Mal seit längerer Zeit ausgeruht aufwache, bin ich voller Tatendrang. Ich springe aus dem Bett und hechte unter die Dusche. Mittlerweile habe ich mir überlegt, dass ich Roger nicht anrufen, sondern höchstpersönlich im Sonnenstudio auftauchen werde. Wenn schon, denn schon.
Zwanzig Minuten später sitze ich mit einem Becher Kaffee in der Küche und überlege, was ich in nächster Zeit alles angehen will. Erst einmal wieder Geld verdienen, so viel ist klar. Aber da ich in der Tat nicht den Rest meines Lebens im Sonnenstudio versauern will, muss ich mir langsam wirklich mal eine Alternative überlegen. Und was die Wohnung betrifft – eigentlich will ich hier bleiben, das ist mir jetzt klargeworden. Wenn ich die beiden Räume des Ladenlokals vermiete, müsste das eigentlich gehen. Immerhin haben die einen eigenen Eingang, eine kleine Teeküche und ein Mini-Duschbad mit Toilette. Ich schnappe mir einen Zettel und einen Stift und notiere, worum ich mich zeitnah kümmern will:
1.
Wieder arbeiten gehen.
2.
Eine
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