Goldstück: Roman (German Edition)
›klopf, klopf, klopf‹, dicht gefolgt von einem »Maike? Bist du da?«.
»Ja«, keife ich unwirsch, als ich die Wohnungstür aufreiße, »ich bin da!«
»Oh.« Vor mir steht Stefan, starrt mich einigermaßen entsetzt an und weicht reflexartig einen Schritt zurück.
»Oh«, entfährt es mir ebenfalls. Zum einen, weil ich nicht mit ihm gerechnet habe, zum anderen, weil mir schlagartig mein Aufzug bewusst wird. Und die Tatsache, dass ich vermutlich nicht sonderlich gut rieche. Stefans Zurückweichen ist zumindest ein Indiz dafür.
»Sorry, Maike, habe ich dich geweckt?«, fragt er.
»Nein«, lüge ich, »ich war gerade dabei, aufzustehen.
Stefan wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Um Viertel nach eins?«
»So spät ist es schon?«
Er nickt. »Ja, so spät ist es schon. Alles in Ordnung bei dir?«
Ich mustere ihn eingehend. Erst jetzt bemerke ich, dass Stefan ebenfalls alles andere als fit aussieht. Sein Gesicht ist von dunklen Augenrändern gezeichnet, seine sonst so imposante Erscheinung wirkt irgendwie in sich zusammengesackt, die Haare sind stumpf und glanzlos und könnten wohl mal wieder einen Schnitt vertragen.
»Ehrlich gesagt könnte ich dich das Gleiche fragen. Du siehst echt scheiße aus.«
Ein unbeholfenes Grinsen tritt auf sein Gesicht. »Das Kompliment kann ich sofort wieder zurückgeben.«
Einen Moment lang stehen wir unschlüssig voreinander, dann frage ich: »Was gibt es denn?«
Stefan zuckt mit den Schultern. »Eigentlich nichts Besonderes. Ich hatte ein paarmal angerufen und dir auf den AB gesprochen. Du hast nie zurückgerufen, da habe ich mich gefragt, ob irgendwas ist.«
»Hm, tja«, sage ich. »Ist irgendwas? Nö, oder?«
Wir starren uns an – und brechen dann beide in haltloses Gelächter aus.
»Nee, klar«, schnauft Stefan und hält sich am Türrahmen fest, »was soll schon sein? Alles tutti!«
»Genau«, pruste ich, »ging noch nie besser!« Ich bedeute ihm mit einer Geste, hereinzukommen, und schließe hinter ihm die Wohnungstür.
»Puh«, ruft der Freund meiner Cousine aus, »wie riecht es denn hier? Scheint, als solltest du mal wieder durchlüften.«
»Ja, ähm, sorry«, meine ich und bemerke erst jetzt, dass es hier drinnen wirklich stinkt wie in einem Pumakäfig. »Hab in letzter Zeit nicht wirklich aufgeräumt. Ich … ich … ich …«
»Maike«, Stefan legt mir eine Hand auf die Schulter, »ist schon gut. Ich weiß, wie es dir geht. Wenn ich nicht meine Kun
den hätte, die mich jeden Tag aus dem Bett zwingen, wäre ich auch schon längst total versackt.«
»Hm, ja. Hab mich echt ein bisschen gehenlassen.«
»Ehrlich gesagt habe ich mir das schon gedacht. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich vorbeigekommen bin. Hab mir echt Sorgen um dich gemacht.«
»Einer der Gründe?«
»Na ja«, er zuckt mit den Schultern, »noch ehrlicher gesagt, bin ich in den letzten Wochen schon ziemlich oft an der Wohnung vorbeigefahren oder hab ein paar Stunden im Auto vor der Tür gesessen. Ich wollte … ich wollte«. Er kommt ins Stocken.
»Ihr einfach nah sein?«, beende ich seinen Satz.
»Ja. Das ist es wohl.«
»Aber du hättest doch schon viel eher klopfen können, dann hätte ich dich jederzeit reingelassen.«
»Ich war auch oft kurz davor«. Stefan sieht sich im Flur um. »Gleichzeitig hatte ich aber auch Angst davor, wie es ist, in eure Wohnung zu kommen, ohne dass Kiki da ist.«
»Das verstehe ich«, stelle ich seufzend fest. »Ich wage mich nicht einmal ins Wohnzimmer, aus Angst, dass mich alles dort an sie erinnert.«
»Sollen wir …«, schlägt Stefan vor, unterbricht sich dann aber.
»Sollen wir was?«
»Also, ich dachte, wir könnten … Wir könnten das vielleicht zusammen in Angriff nehmen. Ich meine, uns in euer Wohnzimmer trauen.«
Ich überlege einen Moment, dann straffe ich die Schultern. »Weißt du, was, Stefan? Das ist eine richtig gute Idee!«
Es bleibt aus, das große »Wham!«, als Stefan und ich die Tür zum Wohnzimmer öffnen. Vor uns liegt einfach nur der Raum, in dem Kiki und ich oft zusammengesessen haben. Alles ist na
türlich noch so, wie ich es in Erinnerung habe. Das alte Sofa mit dem bunten Stoffüberwurf, das eigentlich aussortiert werden sollte, sobald wir mal ein paar Euro für eine richtig schicke Sitzgarnitur über hätten – wobei es natürlich nur Kiki hätte sein können, die ein paar Euro über hat, bei mir war da nicht mit viel zu rechnen. Die großen Bilder vom Hamburger Hafen an der Wand, die Kiki mal
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