Goldstück: Roman (German Edition)
wenig zu merken. Ralf wurde mit jedem Tag zu Hause immer unzufriedener und nörgeliger, hatte ständig was an mir auszusetzen und zog sich immer mehr von mir zurück.«
»Hm«, überlege ich laut, »offenbar hat die Sache sein männliches Ego angeknackst.« Obwohl sechs Wochen Misserfolg für mich eher ein Klacks sind, füge ich in Gedanken hinzu. Da hätte ich mir ja längst einen Strick nehmen müssen.
»Du hast wahrscheinlich recht.« Nadine seufzt. »Den Mund habe ich mir fusselig geredet, dass das doch alles kein Drama ist und er sicher bald wieder irgendwo unterkommt. Ich hätte auch mit einer Wand sprechen können, Ralf hat mir gar nicht zugehört.«
»Wie kam es dann zu seinem Auszug?«
»Letzte Woche, da ist er irgendwie richtig durchgedreht«, erzählt Nadine. »Das war echt gruselig«, sie schüttelt sich bei dem Gedanken daran, »er ist morgens aufgestanden und hat kein Wort gesagt, sondern einfach nur seine Sachen gepackt.«
»Und du?«
»Ich hab ihn natürlich gefragt, was das jetzt soll. Da hat er mir erklärt, dass er nicht will, dass ich mein Leben an der Seite eines Versagers verbringe, und hat türenknallend die Wohnung verlassen. Ich war total perplex und wusste gar nicht, was los ist. Hab mir aber gedacht, er soll sich erst mal wieder beruhigen, dann wird er schon nach Hause kommen.« Sie sieht mich traurig an. »Ist er aber nicht. Nach drei Stunden habe ich bei seinem besten Kumpel Matze angerufen und gefragt, ob Ralf da ist. War er auch, aber er wollte nicht mit mir sprechen.«
Hm, das klingt alles ein wenig melodramatisch. Sicher, eine Kündigung ist kein Grund zum Jubeln, aber von Langzeitarbeitslosigkeit ist Ralf noch weit entfernt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass noch etwas anderes dahintersteckt. Vorsichtig frage ich nach.
»Was meint denn Matze dazu? Der hat doch bestimmt auch eine Meinung, oder?« Ralfs besten Kumpel kenne ich nur flüchtig von der Hochzeit, aber da hatte ich mich länger mit ihm unterhalten und eigentlich den Eindruck, dass er ein sehr netter und vernünftiger Kerl ist.
»Tja, er sagte, dass Ralf wohl eine Krise hat und jetzt erst einmal allein damit klarkommen muss.«
»Hm. Vielleicht stimmt das ja. Auch wenn es in der Tat schwer zu verstehen ist.«
»Allein klarkommen?«, regt Nadine sich auf. »Wofür heiratet man denn, wenn einer bei den ersten kleinen Schwierigkeiten sofort abhaut? Denkt Ralf überhaupt darüber nach, wie ich damit klarkomme? Dass ich überhaupt nicht weiß, was los ist und wie es weitergeht, ob er irgendwann zurückkommt oder mich allein in unserer Wohnung hocken lässt?« Mittlerweile hat sie sich regelrecht in Rage geredet.
Ich beschließe, sie erst einmal nicht zu fragen, ob es nicht noch andere Gründe geben könnte. Nachher regt sie sich nur noch mehr auf. Stattdessen starte ich einen Deeskalationsversuch. »Männer gehen mit solchen Situationen eben anders um als wir. Du weißt schon, von wegen einsamer Wolf und so.«
»Ha!«, schleudert Nadine mir entgegen. »Der spinnt ja wohl, der einsame Wolf!«
Okay, war nur ein Versuch.
»Oh, ihr redet von mir?« Wir zucken zusammen, als plötzlich Rogers Stimme erklingt. »Hallo, die Damen!«, flötet er fröhlich, lässt sich mit Schwung auf seinem Stuhl nieder und grinst uns breit an. »Wie ich sehe«, meint er dann, an mich ge
wandt, »herrscht heute ungewohnter Glanz in meiner Hütte, welch hoher Besuch!«
»Hallo, Roger«, knurre ich ihn an.
Schlagartig setzt er das blöde breite Grinsen ab. »Äh, sorry, Maike, das war jetzt etwas unpassend beim ersten Wiedersehen nach, nach, nach … du weißt schon.«
»Vergiss es«, stelle ich, immer noch angemessen unfreundlich, fest. »Ich kenn dich ja schon ein paar Jahre und weiß, dass Feingefühl nicht gerade deine Stärke ist.« Roger macht einen beleidigten Eindruck, sagt aber nichts. »Ich bin nur hier, um dir zu sagen, dass ich ab sofort wieder einsatzbereit bin. Soll ich an den üblichen Tagen arbeiten?«
»Klar«, erwidert mein Chef, »wir können den alten Plan wieder aufnehmen.«
»Gut, so machen wir’s«, antworte ich und stehe auf. An Nadine gerichtet, sage ich: »Ruf mich heute Abend mal an, wenn du zu Hause bist, dann können wir in Ruhe quatschen.«
Sie nickt. »Mach ich.«
»Ach, Maike«, wirft Roger noch ein, bevor ich durch die Tür verschwinde.
»Ja?«
»Ich habe in der Zwischenzeit noch einmal nachgedacht. Die Sache mit der Umsatzbeteiligung ist vielleicht echt nicht ganz fair, lass uns doch wieder auf
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