Goldstück: Roman (German Edition)
bisschen? Der Klingelfrequenz meines Telefons nach zu urteilen, muss er eine groß angelegte Verteilaktion in der Fußgängerzone unternommen haben, nach Markus Gärtner haben sich noch fünf weitere Leute gemeldet, die ein zweistündiges Probe-Coaching bei mir buchen wollen. Mittlerweile geht mir das »Kirsten Schäfer« wie selbstverständlich über die Lippen, so als wäre das schon immer mein Name gewesen.
Das schlechte Gewissen hält sich auch in Grenzen, als ich feststelle, dass Kikis Stundensatz von siebzig Euro für keinen der Anrufer ein Problem darstellt. Siebzig Euro! Pro Stunde! Und auch, wenn Kiki ihre Intensivseminare am Wochenende zum Rabattpreis angeboten hat, gibt es da ja immerhin auch sechshundert Schleifen, da muss eine alte Frau lange für stricken! Ha, wenn Roger wüsste, was hier gerade abgeht, würde er seinen Laden vermutlich dichtmachen, sich diverse Wunsch-Ratgeber zulegen und ab sofort Coachings anbieten! Allerdings wollen die alle eine Rechnung haben, das ist natürlich ein kleines Problem. Obwohl ich weiß, dass ich dafür irgendwann in der Hölle oder wenigstens im Knast landen werde, krame ich Kikis altes Briefpapier hervor und erstelle schon einmal ein paar Rechnungsvordrucke für »Coaching Schäfer«. Allerdings mit meiner und nicht mit Kikis Bankverbindung. Aber das wird bestimmt nicht weiter auffallen, schließlich ändern sich Kontonummern gerne mal. Wie ich mit der Steuernummer verfahren soll, weiß ich allerdings nicht so recht. Meine eigene nehmen? Habe ich überhaupt eine? Kikis alte Nummer so stehenlassen? Ist bestimmt total verboten. Mist!
Das bringt mich auch gleich zur nächsten Frage: Wenn ich hier munter Rechnungen schreibe, muss ich das Geld irgendwann mal versteuern. Steuern – nicht gerade mein Lieblingsthema. Vielleicht sollte ich mich darum einfach später kümmern. Wenn mehr Zeit ist. Oder ich mehr Ahnung habe. Oder beides. Jetzt jedenfalls nicht. Ich lasse die Nummer also erst einmal so, wie sie ist. Das ist vermutlich nicht ganz so, wie sich das Finanzamt eine korrekte Rechnung vorstellt, aber eine bessere Lösung fällt mir eben nicht ein.
Ich verteile die Beratungstermine so über die ganze Woche, dass sie nicht mit meiner Arbeitszeit im Sonnenstudio kollidieren, denn so wahnsinnig, dass ich da gleich in den Sack haue, bin ich nun auch wieder nicht. Wer weiß, wie lange es dauert, bis ich auffliege? Und wer weiß, wer sich dann noch von mir coachen lassen will? Nein, lieber nicht dran denken, ich ziehe die Sache jetzt durch!
»Hallo, Spitzencoach!«, meldet Daniel sich eine Woche nach seinem Überraschungsbesuch. »Und? Hat sich schon der eine oder andere Kollege gemeldet?«
»Ja«, antworte ich, »ich bin kaum vom Telefon weggekommen. Ihr Bekannter hat bereits angerufen und dazu noch fünf andere Klienten.«
»Das ist echt super«, stellt er fest. »Wie sieht es denn bei Ihnen in den nächsten Tagen aus? Unser Treffen steht noch, oder?«
»Sorry, dafür habe ich jetzt keine Zeit mehr, zu viele Neukunden.« Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann breche ich in Gelächter aus. »Das war nur ein Witz!«, stelle ich klar. »Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bald sehen.«
»Oh, da haben Sie mich jetzt gerade ganz schön auf den Arm genommen«, erwidert Daniel. »Hab schon einen Schrecken gekriegt. Wie sieht es denn Donnerstagabend aus? Frau Hansmann hätte da auch Zeit.«
»Frau Hansmann?«
»Na, unsere Personalchefin.«
Mist, er will wirklich in Begleitung kommen. Ich hatte ein bisschen gehofft, dass das nur vorgeschoben war. Sei’s drum. Besser ein Treffen zu dritt, als Daniel gar nicht wiederzusehen.
»Warten Sie mal, ich hole eben meinen Kalender.« Ich laufe mit dem Telefon in die Küche und schnappe mir den Terminplaner, den ich mir heute extra gekauft habe. Bin jetzt schließlich ein gefragter Coach und so, da muss ich mich schon gut organisieren. »Ich schau mal nach«, sage ich und blättere darin herum. Morgen um zehn kommt Markus Gärtner, Daniels Freund. Danach, um zwölf, eine Corinna Schuster, nachmittags habe ich Schicht im Studio. Mittwoch bin ich den ganzen Tag im »Summer Island«, Donnerstagvormittag auch, am Nachmittag kommt wieder jemand zum Coaching, und den Freitag bin ich wieder zusammen mit Nadine im Studio. »Donnerstagabend klingt gut«, erkläre ich. »So gegen acht?«
»Acht ist bestens. Was halten Sie von italienischer Küche?«
»Sehr viel.«
»Dann würde ich sagen, wir treffen uns im ›Gallo Nero‹
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