Goldstück: Roman (German Edition)
Noch dazu, wenn sie für sieben Kilometer ungefähr zwei Stunden brauchen.«
»Du Armer.« Ich reiche ihm ein Handtuch, er rubbelt sich die Haare trocken, so dass sie in alle Himmelsrichtungen abstehen. Sieht süß aus, wie er da so mit Sturmfrisur vor mir steht und mit seinen Klamotten immer noch den Boden volltropft. »Musstest du echt bei dem Regen draußen rumlaufen?«
Er nickt. »Ich hab echt versucht, meinen Kunden davon zu überzeugen, lieber ins Studio zu gehen. Aber er meinte, wir würden schon nicht wegschwimmen, was wir allerdings fast getan hätten.«
»Na, dann wärm dich mal ein bisschen auf, die drei ist gerade frei geworden, ich stell sie dir mal auf zwanzig Minuten ein.«
»Super, danke, das brauche ich jetzt wirklich, ich kann meine Zehen kaum noch spüren.«
»Hast du was Trockenes zum Anziehen mit?«, will ich wissen. »Ich kann sonst mal schauen, ob wir irgendwo im Schrank wenigstens noch ein T-Shirt haben, manchmal lassen die Kunden ja was liegen.«
Stefan rümpft die Nase. »Ein olles T-Shirt von einem Fremden? Nee, danke!« Dann schwingt er eine Sporttasche, die er in der linken Hand hält. »Hab mir schon gedacht, dass es heute wie aus Eimern schütten wird, und vorsichtshalber was zum Wechseln ins Auto gelegt.«
»Sehr weitsichtig«, lobe ich und reiche ihm ein frisches Handtuch.
»Danke.« Er schnappt sich das Handtuch und steuert die Kabine an. Unterwegs klingelt sein Handy.
»Stefan Becker?«, höre ich ihn sagen, dicht gefolgt von einem »Ja, der bin ich«, und ein paar Minuten später meint er: »Gut, in Ordnung, morgen früh um sieben an der Lohkoppelbrücke. Wir erkennen uns dann schon.«
Zwei Sekunden später steht Stefan wieder vor mir am Tresen und betrachtet mich irritiert.
»Ist noch was?«, frage ich.
»Ja«, antwortet er. »Wer ist Markus Gärtner? Und wieso hat er meine Nummer heute von Kirsten Schäfer bekommen?«
Mit einem Schlag sackt mir sämtliches Blut in die Magengrube.
[home]
20. Kapitel
W ie, deine Nummer?«, frage ich, um Zeit zu schinden. Gleichzeitig überlege ich fieberhaft, wie ich Stefan die ganze Sache am besten verkaufen kann. Wie kommt Markus Gärtner an Stefans Nummer? Dafür gibt es eigentlich nur eine logische Erklärung: Er muss einen von Stefans Prospekten gefunden haben. Vermutlich liegen sie neben Kikis Flyern auf dem Sideboard, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht, als ich sie zu Dekorationszwecken verteilt habe. Anscheinend hat sich Markus Gärtner meinen Rat, etwas für seine Figur zu tun, sofort zu Herzen genommen und beschlossen, das Thema auf der Stelle anzugehen.
Mist, Mist, Mist, gleich werde ich auffliegen. Denn Stefan ist natürlich mit der Letzte, der erfahren sollte, dass ich mich für Kirsten Schäfer ausgegeben habe. Könnte mir vorstellen, der Freund meiner verstorbenen Cousine fände das unter Umständen etwas … pietätlos.
»Dieser Typ, der mich da eben angerufen hat, dieser Markus Gärtner«, spricht Stefan weiter, »hat mir gesagt, er hätte meinen Prospekt bei einem Coaching mit Kirsten Schäfer entdeckt. Und zwar heute Vormittag.« Er stemmt beide Hände in die Hüften und sieht mich erwartungsvoll an. »Da frage ich mich gerade, wie das denn sein kann.«
»Ja, äh, ich verstehe, dass du dich darüber wunderst.« Denk nach, Maike, denk nach! Wenn dir nicht in den nächsten zehn Sekunden was Schlaues einfällt, ist der Ofen aus! »Wie, sagtest du noch mal, war der Name des Anrufers?«
»Markus Gärtner.«
»Markus Gärtner«, wiederhole ich zögerlich. »Ach, ja klar, Markus Gärtner!«, rufe ich dann aus.
»Wer ist das denn?«
»Ja, das ist … also, ich hab dir doch gesagt, dass ich versuche, die Büroräume unterzuvermieten, weil ich mir die ganze Bude momentan einfach nicht leisten kann«, versuche ich, nun möglichst normal zu klingen. »Neulich, als du die Kartons abgeholt hast und wir danach auf dem Friedhof waren, war ja auch schon ein Interessent da, erinnerst du dich?«
Stefan steht nach wie vor bewegungslos vor mir, seine Stirn ist gerunzelt.
»Jedenfalls sind heute Vormittag wieder ein paar Leute vorbeigekommen, um sich das Büro mal anzusehen. Und einer von denen muss dieser Markus Gärtner gewesen sein. Doch, jetzt, wo ich genauer darüber nachdenke, bin ich mir sogar ganz sicher, dass er so hieß. Ja«, ich nicke zur Bekräftigung, »Markus Gärtner, so war sein Name. Wahrscheinlich hat er bei der Besichtigung einen deiner Flyer entdeckt, die da noch rumliegen.«
»Hm.«
Weitere Kostenlose Bücher