Goldstück: Roman (German Edition)
offen steht. Ich stoße sie ganz auf, Daniel steht unschlüssig mitten in dem Raum, der zwar noch möbliert ist, ansonsten aber nichts Privates mehr enthält.
»Was suchst du hier?«, will ich wissen und merke, dass meine Stimme ziemlich verärgert klingt.
»Du wohnst nicht allein?«, fragt Daniel zurück, ohne meine Frage zu beantworten, und schaut mich groß an.
»Wie sieht es denn für dich aus?«
»Nach einem möblierten Zimmer.«
»Und? Macht es den Eindruck, als würde hier jemand wohnen?«
»Nein«, gibt Daniel zu. »Aber ich … ich …«
»Warum schnüffelst du hier rum?« Noch immer klinge ich aufgebracht. Dabei hat es gar nicht so viel mit Daniel zu tun, ich bin in erster Linie sauer auf mich selbst, dass ich vergessen habe, Kikis Zimmer abzuschließen. Gut, ich konnte ja nicht ahnen, dass der gestrige Abend so verlaufen würde, wie er verlaufen ist, ebenso wenig, wie Daniel wissen kann, was es mit diesem Zimmer auf sich hat – aber mehr und mehr habe ich das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen, das mir jeden Moment um die Ohren fliegen kann.
»Kirsten, du musst mich wirklich für einen grässlichen Typen halten«, bringt Daniel stotternd hervor. »Es tut mir leid, aber als du unter der Dusche warst, da konnte ich nicht widerstehen und … Weißt du, ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass es mir nicht leichtfällt, zu vertrauen und …«
Mit wenigen Schritten bin ich bei ihm und nehme ihn in den Arm. »Nein, mir tut es leid, dass ich dich so angeschnauzt habe, das wollte ich nicht.«
»Du hast aber recht, dass ich nicht einfach in deiner Wohnung rumschnüffeln darf, das ist schließlich deine Privatsphäre.«
Ich nehme ihn an der Hand, führe ihn zu Kikis Bett und lasse mich mit ihm zusammen darauf nieder. Vielleicht ist jetzt doch der richtige Zeitpunkt gekommen, ihm die Wahrheit zu sagen. Viel länger kann ich mein Lügenkonstrukt sowieso nicht aufrechterhalten, und nach der vergangenen Nacht schreit alles in mir danach, Daniel reinen Wein einzuschenken. Ich kann nur hoffen, dass er mich daraufhin nicht sofort verlässt. Aber selbst wenn, so wie jetzt kann es unmöglich weitergehen.
»Du hast mich vorhin nach meinem Armband gefragt«, fange ich an und streiche Daniel dabei durch seine vollen Haare.
»Ja?«, antwortet er abwartend.
»Ich habe es nicht von Stefan bekommen, sondern von meiner Cousine.«
»Von deiner Cousine?« Ich nicke.
»Ja. Sie hat es mir geschenkt, damit es mir Glück bringt.«
»Und, hat es dir Glück gebracht?« Ich stocke.
»Mir schon«, sage ich schließlich langsam und bedächtig. »Aber ihr nicht.«
»Weshalb?«
»Sie ist tot.«
Ich merke, wie Daniel sich für einen kurzen Moment verkrampft, dann legt er einen Arm um mich und zieht mich ganz fest an sich. »Das tut mir leid«, flüstert er.
»Ja, mir auch.«
»Dann war das hier ihr Zimmer?« Wieder nicke ich. »O mein Gott«, ruft Daniel aus und schlägt mit seiner freien Hand auf die Matratze. »Ich bin ja so ein riesiger Idiot!« Dann beugt er sich zu mir, nimmt mein Gesicht in beide Hände und bedeckt es über und über mit Küssen. »Bitte verzeih«, bringt er zwischendurch hervor, »mein Misstrauen ist einfach widerlich! Ich
habe doch wirklich gedacht, dass du vielleicht mit einem Kerl zusammenlebst. Kirsten, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich dafür schäme!«
»Daniel«, setze ich an, bevor mich der Mut verlässt, ihm zu sagen, dass ich überhaupt nicht Kirsten heiße und auch kein Coach bin, aber er küsst mich wieder und wieder, so dass ich gar nicht zu Wort komme.
»Ich hab so was schon mal erlebt, weißt du?«, redet er schließlich wie ein Wasserfall weiter. »Das war mit meiner letzten Freundin.« Wieder küsst er mich. »Ein Jahr lang hat sie mich an der Nase herumgeführt, und ich habe es nicht gemerkt. Irgendwann habe ich dann herausgefunden, dass alles, was sie mir erzählt hat, gelogen war, da ist für mich eine Welt zusammengebrochen, weil ich sie sehr geliebt habe. Ich konnte nicht verstehen, wie ein Mensch so etwas tun kann.«
»Was genau hat sie denn gemacht?«, frage ich vorsichtig nach.
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, meint Daniel, blickt mir tief in die Augen und streichelt zärtlich meine Wange. »Ich kann nur sagen, dass ich damals dachte, ich könnte nie wieder jemandem vertrauen. Also verzeih mir, was ich da eben getan habe, ich schätze, ich habe von der Geschichte einen kleinen Knacks davongetragen.«
»Weißt du«, setze ich wieder an,
Weitere Kostenlose Bücher