Goldstück: Roman (German Edition)
den Radiowecker zu schielen.
»Weißt du, was? Eigentlich ist das eine gute Idee.« Ich greife nach meiner Handtasche, die ich unter dem Tresen verstaut habe. »Sag Roger schöne Grüße, ich hab’s heute nicht so mit Arbeit.«
Jetzt kichern wir beide, und zwei Sekunden später bin ich auch schon draußen.
Zu Hause angekommen, haue ich mich tatsächlich gleich aufs Ohr, und im Gegensatz zu heute Nacht schlafe ich sofort ein.
Ein energisches Klingeln reißt mich aus dem Schlaf. Ich werfe einen kurzen Blick auf meinen Radiowecker: schon sieben Uhr abends! Unglaublich, ich habe den ganzen Tag verpennt und fühle mich immer noch völlig groggy. Ich rapple mich aus dem
Bett hoch und schlüpfe in meine Jeans. Es klingelt munter weiter. Wer kann das sein? Vielleicht Herr Tiedenpuhl? Wobei – eigentlich bin ich mit der Miete ja im Reinen, der dürfte momentan keinen Grund haben, mich zu behelligen. Wieder klingelt es an der Tür, ich stolpere aus meinem Zimmer. Ein kurzer Blick in den Spiegel im Flur: verheerend. Ist eigentlich jemals wissenschaftlich geklärt worden, warum man vom Mittagsschläfchen so leicht Querfalten im Gesicht bekommt?
»Moment, ich bin gleich da!«, rufe ich und binde mir schnell die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Das rettet die Gesamterscheinung zwar kaum, aber immerhin kann ich dafür besser sehen, wer hier eigentlich Sturm klingelt. Ich bin schwer genervt. Jedenfalls so lange, bis ich die Tür öffne und Daniel sehe.
»’n Abend, Frau Schäfer.« Er grinst mich fröhlich an. »Sie hatten eine Runde Fast Food bestellt? Ich habe hier mal zwei große Portionen Chicken Wings, dann noch zwei Kartons Käse-Pizza-Brötchen und jede Menge Pommes frites mit Mayo.« Jetzt schwenkt er zwei Plastiktüten auf und ab, aus denen es tatsächlich verführerisch duftet. »Ich störe hoffentlich nicht, oder?«
Ich schüttele den Kopf, obwohl mir mein Aufzug ihm gegenüber schon recht peinlich ist.
»Dann ist ja gut«, stellt er erleichtert fest, »ich wusste ja nicht, ob du auf Spontanbesuche stehst, aber du bist nicht ans Telefon gegangen, und ich hatte doch schon den ganzen Tag lang schreckliche Sehnsucht nach dir.«
»Wirklich?«, frage ich erfreut.
»Hab’s kaum ausgehalten und bin nach der Arbeit direkt zu dir gerast, mit einem kleinen Umweg über den Imbiss.« Tatsächlich steckt Daniel noch im Büro-Outfit, er trägt einen dunklen Anzug mit Nadelstreifen, das strahlend weiße Hemd betont seinen dunklen Teint, seine schwarzen Haare schim
mern dunkelblau, und eine einzelne Strähne fällt ihm verwegen in die Stirn.
»Du siehst toll aus«, entfährt es mir.
»Und du erst!«, erwidert er und betrachtet mich von oben bis unten.
Ich merke, dass ich im Gesicht puterrot werde, denn neben Daniel sehe ich aus wie die ganz heiße Aspirantin auf den Titel »Miss Flodder Hamburg«. Daniel scheint das aber überhaupt nicht zu stören, denn er lässt die Tüten auf den Boden sinken, nimmt mich in den Arm und legt seine Lippen auf meine. Ich erwidere seinen Kuss und staune darüber, dass es überhaupt möglich ist, dass sein Mund noch weicher und zärtlicher ist, als ich ihn in Erinnerung habe. Und wie Daniel schmeckt, süß und gleichzeitig herb, in Verbindung mit dem Geruch seines Aftershaves eine Kombination, die mir die Sinne raubt. Er streicht mir mit einer Hand übers Gesicht, gleichzeitig spüre ich, wie seine Zungenspitze erst vorsichtig, dann immer fordernder über meine Lippen wandert. Ich öffne leicht den Mund, lasse ihn hineinschlüpfen und genieße die Hitze, die sich sofort in meinem gesamten Körper ausbreitet.
»Kirsten«, flüstert er, zieht mich noch näher an sich heran, schiebt mich zurück in den Flur und wirft die Tür hinter uns ins Schloss.
»Ich fürchte«, murmele ich zwischen seinen Küssen, die mich ganz benebelt machen, »das Essen wird kalt.«
»Essen?« Er sieht mich fragend an und lächelt dann verschmitzt. »Was für ein Essen? Ich kann mich an nichts mehr erinnern.«
Dann hat er mich schon wieder umschlungen und macht mit diesen unglaublichen, mit diesen wahnsinnigen Küssen weiter, löst meine Haare aus dem Zopfgummi und zerwühlt sie mit seinen Händen, lässt seine Lippen an meinem Hals runter- und wieder hochwandern, bis er schließlich mein linkes Ohrläpp
chen erreicht und genussvoll daran knabbert. »Du hast recht«, hauche ich, wobei meine Stimme eigenartig zittert, »ich kann mich auch an nichts erinnern.« Mit diesen Worten lege ich beide Hände um
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