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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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haben.«
    »Juden«, sagte der Mann. »Warum sollten wir einem Juden helfen? Die Juden haben Jesus Christus ermordet, unseren Herrn.«
    »Das waren nicht die Juden«, sagte Jankel. »Es waren die Römer, die ihn getötet haben.«
    »Aber die Juden haben gerufen: Kreuziget ihn«, sagte der Mann. »Sie tragen die Schuld an seinem Tod, diese verdammten Juden.«
    »Er war selbst ein Jude«, sagte Jankel, »genau wie ich.« Er spürte, wie er immer mehr in Bedrängnis geriet. Er warf der Frau einen Blick zu, aber ihr Gesicht war verschlossen, er wusste nicht mehr weiter. In diesem Moment fiel ihm ein, was Reb Jakob Bassevi zu Doktor Balthasar gesagt hatte, und mit leiser, vorsichtiger Stimme sagte er: »Könnten wir vielleicht mit Geld etwas ausrichten?«
    Das war falsch, er merkte es sofort, als der Mann mit der flachen Hand auf den Tisch schlug und brüllte: »Willst du etwa sagen, ich würde mich für meine tote Tochter bezahlen lassen? Ein Hund müsste ich sein, wenn ich so etwas täte.«
    »Nein«, sagte Jankel, »nein, so habe ich es nicht gemeint, ich dachte nur, für die Mühe …« Seine Stimme brach, ihm fiel nichts mehr ein.
    Da trat Josef an den Tisch, hob beide Hände und legte sie auf die Schultern des Bauern. Es war ein fester Griff und der Mann wurde blass.
    I ch sah, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich, und in der Hütte war es auf einmal so still, dass ich genau hören konnte, wie sein Atem plötzlich schneller ging. Josef drückte etwas fester zu.
    Ich starrte seine Finger an, die sich in die Schultern des Mannes gruben, und meinte, den Schmerz in meinem eigenen Fleisch zu spüren. Die Augen des Mannes wurden größer, sein Mund verzerrte sich, aber kein Ton kam über seine Lippen.
    Josefs Hände drückten noch fester zu, ich sah es und mir stockte der Atem. Nun sackte der Mann unter der Gewalt seines Griffs zusammen, er stieß einen unterdrückten Schrei aus, jeder Widerstand wich aus seinem Gesicht, aus seinem Körper. Auf einmal wirkte er so gefügig und unterwürfig wie ein geschlagener Hund. Josef ließ ihn los und ich konnte wieder atmen.
    D er Bauer stand auf und sagte mit leiser, erschöpfter Stimme: »Ich spanne den Gaul ein.« Dann, wie um wieder etwas Haltung zu gewinnen, schaute er seine Frau an und sagte: »Zieh dir etwas anderes an, Frau, damit du in Prag nicht als Bettlerin dastehst.«
    Er ging hinaus, Jankel und Josef folgten ihm. Bald darauf trat die Frau aus der Tür. Sie hatte ihren grauen Kittel gegen ein schwarzes Kleid getauscht und sich die Haare gekämmt. Ihr schönes Gesicht war noch genauso verquollen wie zuvor, aber sie war ruhig und gefasst.
    Der Mann führte die Stute herbei, die vor einen einfachen Leiterwagen gespannt war, sie stiegen auf. Die Frau setzte sich neben den Mann auf den Bock, Jankel und Josef nahmen hinten auf den Brettern Platz. Der Bauer hob die Peitsche, das Pferd setzte sich in Bewegung.
    I ch betrachtete den Rücken der Bäuerin, einen schmalen, biegsamen Rücken, der jetzt steif war vor Leid und Trauer, und auf einmal wusste ich, dass ihr schönes Gesicht mich an das Gesicht meiner Mutter erinnert hatte, das mir jetzt klar vor Augen stand. Ich hatte es nicht wirklich vergessen. Ich wusste auch wieder, wie weich ihre Hände gewesen waren, wie sanft ihre Stimme. Ich sah sie vor mir, und ihr Gesicht und ihre Gestalt vermischten sich mit dem Gesicht und der Gestalt Tante Schejndls, und ich verstand, dass Liebe nicht festgelegt ist auf einen einzigen Menschen. Sie kann sich, ohne dass man es will oder auch nur wahrnimmt, von einer Person zur nächsten bewegen und damit wird man schuldlos schuldig. Diese Erkenntnis tat so weh, dass mir die Tränen aus den Augen liefen. Erst als Josef seine Hand auf meine legte, wurde ich ruhiger.

14. Kapitel
Im Namen des Kaisers
    D er Dunstschleier hatte sich verzogen, die Stadt lag in ihrer ganzen Pracht vor ihnen in der Sonne. Jankel spürte, wie ihm das Herz warm wurde.
    Der Bauer drehte sich zu ihm um. »So viele Straßen«, sagte er unsicher und staunend zugleich. »Wohin soll ich fahren? Du musst mir den Weg zeigen.«
    »Zur Judenstadt«, sagte Jankel. »Fahr dort über die steinerne Brücke und halte dich dann links.«
    Josef legte ihm die Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf.
    »Wohin denn sonst?«, fragte Jankel. »Etwa gleich zum Gericht?«
    Und Josef nickte.
    »Erst einmal über die Brücke, dann sehen wir weiter«, wies Jankel den Bauern an.
    Die Moldau unter ihnen glitzerte in der Sonne, silberne

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