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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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sich auf einmal ganz anders, leise und mit einer vorsichtigen Geschmeidigkeit, die Jankel verblüffte, weil er sie diesem ungeschlachten Körper nicht zugetraut hätte. Hinter einer hohen Holzwand blieb Josef stehen und legte noch einmal warnend den Finger auf die Lippen. Hinter der Wand waren Männerstimmen zu hören, das Hufklappern von Pferden.
    Jankel schlich näher und blieb neben Josef stehen, mitten in einem Gestrüpp aus Brennnesseln, doch das merkte er erst, als er die Hand hängen ließ und sie erschrocken hochzog. Durch ein Astloch in der Wand konnte er in das Innere einer Scheune blicken, in der eine Kutsche stand, eine moosgrüne Kutsche mit silbernen Beschlägen und dunkelblauen Schnörkeln. Die Farbe war allerdings verblasst und blätterte an manchen Stellen bereits ab.
    Ein junger Mann, ein großer, hagerer Kerl mit einer schwarzen Mütze auf den strohblonden Haaren, führte gerade zwei Pferde herbei und machte sich daran, sie einzuspannen. Seine Jacke, offenbar sein Sonntagsgewand, war eng und an den Ärmeln zu kurz, als wäre er aus dem Kleidungsstück herausgewachsen. Ein zweiter Mann, älter als der erste und nicht so groß, in einer abgetragenen blauen Livree und mit einer Kappe im gleichen Blau auf den dunklen Haaren, wischte mit einem Lappen die Kutschenwände sauber. »Der Herr kleidet sich schon an«, sagte er gerade, »wir werden bald losfahren, um vor Gericht unsere Aussage zu machen. Der Herr verlässt sich auf dich, das weißt du. Also, was wirst du sagen?«
    Der Strohblonde lachte. »Natürlich weiß ich, was ich sagen muss. Für dreißig Silbertaler werde ich das wohl wissen.« Er riss sich die Mütze vom Kopf, drückte sie an die Brust und verneigte sich, indem er seinen Oberkörper so weit nach vorn klappte, dass sich die Nähte an den Schultern spannten und zu platzen drohten, und seine Stimme klang auf einmal leise und unterwürfig, als er fortfuhr: »Hohes Gericht, werde ich sagen, ich habe mit diesen meinen Augen gesehen, wie der Jude dort dem armen Mädchen den Hals umgedreht hat, dann hat er die Leiche in einen Sack gesteckt und weggeschleppt, so wahr ich hier stehe. Ich kann das bei der Bibel beschwören, hohes Gericht.«
    »Gut, gut«, sagte der Livrierte zufrieden, »so musst du sprechen, genau so.« Er wischte den Türknauf ab und rieb ihn mit einem anderen Tuch, bis er glänzte, dann machte er sich an dem dunkelblauen Wappen zu schaffen, das einen allerdings schon etwas abgewetzten Adler zeigte, der einen Hasen in den Fängen hielt und umrahmt war von silbernem Eichenlaub. »Sag mal«, fragte er, während er versuchte, dem Wappen zusätzlichen Glanz zu verleihen, »wo hast du die Leiche eigentlich her, für die dir der Herr so viel Geld bezahlt? Hast du das Mädchen etwa selber …?« Er machte eine Handbewegung, als drehe er einem Huhn den Hals um.
    »Nein, Gott behüte«, rief der andere erschrocken und setzte seine Mütze wieder auf den hellen Schopf. »Wo denkst du hin? Ich bin doch kein Mörder.« Er zögerte, dann sagte er: »Die Kleine meines Bruders Frantek ist gestorben, just an dem Tag, als mich der Herr gefragt hat, ob ich eine Leiche besorgen könne. Ich bin nachts hingegangen und habe sie geholt, das war alles.« Er zuckte mit den Schultern, und als er weitersprach, war seine Stimme lauter als vorher und ein wenig schrill. »Was ist denn schon dabei? Sie war ja sowieso tot, verstehst du, es hat ihr nichts mehr geschadet, und mir bringt es jetzt dreißig Silbertaler.«
    »Wo wohnt dein Bruder?«, fragte der Livrierte. »Wie weit hast du die Kleine tragen müssen?«
    »Gut fünf Werst in südlicher Richtung«, antwortete der Strohblonde. »Eigentlich nicht so weit, ein Fußmarsch, der mir sonst nichts ausmacht, aber das Kind war schwerer, als ich gedacht habe, und außerdem war es stockdunkel. Und dann musste ich die Leiche auch noch unbemerkt in den Keller dieses Juden bringen, aber das weißt du ja, du hast mich doch hingefahren. Trotzdem, es war gar nicht so einfach, ich habe geschwitzt vor Angst, sage ich dir. Das Geld habe ich mir redlich verdient.«
    »So redlich wie die Kuhmagd ihren Bankert«, sagte der Livrierte und beide Männer fingen an zu lachen, sie schlugen sich auf die Schenkel vor Lachen.
    Josef berührte Jankels Schulter und deutete nach Süden, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Jankel nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und beide schlichen sich durch den Obstgarten davon, während das Lachen der Männer immer leiser wurde.

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